Interviews

„Es muss großartig werden!“

Im Interview: Viktoria Fuchs – Wildexpertin, Freigeist und Spitzenköchin

„Gut, dass du mir noch eine Erinnerung an unseren Termin geschickt hast – ich hätte es sonst total verpeilt“, gesteht Viktoria Fuchs, als wir uns zum Interview digital gegenübersitzen. Mit ihrer herzlichen und selbstironischen Art kann man es ihr nicht krummnehmen. Und es passt hervorragend in das Bild des kreativen Kopfes, der hinter der Küche des Romantik Hotel & Restaurant Spielweg steht: erfinderisch, weltoffen und ein bisschen verrückt.

In sechster Generation führt Viki, wie Familie und Freunde sie nennen, gemeinsam mit ihrer Schwester Kristin das Hotel im Münstertal im Südschwarzwald. Doch der Generationenwechsel kam 2015 alles andere als geplant: Weil ihr Vater erkrankt war, übernahmen die Töchter mit Anfang zwanzig unvorbereitet das Ruder. Nach gut sieben Jahren, in denen Viki verschiedene Küchen durchlaufen hatte, kehrte sie in ihre Heimat zurück. Gelernt hatte sie klassisch französisch bei Douce Steiner in Sulzburg, danach folgten Stationen unter anderem bei Ali Güngörmüs in Hamburg und Mario Paecke auf Schloss Elmau.

Dabei war es für die 32-Jährige gerade anfangs nicht immer leicht, den Traditionen des Hotels, das die Familie Fuchs seit 1861 führt, gerecht zu werden: Mit dem allgegenwärtigen Wild im Spielweg musste sie sich erst einmal anfreunden – bis sie schließlich ihren ganz eigenen Stil entwickelt hat, für den sie heute in der Welt der Kulinarik bekannt ist.

Gastivo Magazin: Liebe Viktoria, dein Name ist untrennbar mit Wild verbunden: In deinem Restaurant spielen Reh, Hirsch und Wildschwein die Hauptrollen, außerdem hast du ein Wild-Kochbuch geschrieben. Woher kommt deine Liebe für Wild?

Viktoria Fuchs: Wild ist ein Teil vom Spielweg – das haben wir uns nicht auf die Fahnen geschrieben, sondern das ist gewachsen. Mein Vater ist Jäger, mein Mann ist Jäger, gefühlt mein ganzer Freundeskreis hat den Jagdschein. Ich war aber nicht immer so begeistert von dieser ganzen Wildtier-Geschichte. Man muss sich das vorstellen: Wenn ein Jäger im Münstertal ein Reh schießt, und damit vor der Tür steht, muss das verarbeitet werden. Und es nervt natürlich viel mehr, wenn ein ganzes Tier da hängt, als wenn du ein vakuumiertes Stück Fleisch verarbeitest. Damit habe ich mich am Anfang schwergetan. Aber nach ein, zwei Jahren habe ich es eher als Chance gesehen: Wild bedeutet bessere und biologische Fleischqualität und kaum Lieferweg. Also habe ich gesagt: Ich muss eine Wildküche finden, die für mich funktioniert. Heute habe ich gelernt, damit umzugehen und weiß, was das für ein schönes Produkt ist!

Mittlerweile hast du deinen eigenen Stil gefunden. Wie war der Weg dahin?

Ich bin mit meinem Mann Johannes viel gereist und wir haben überlegt: Was essen wir gerne? Wie können wir das einsetzen? Ich habe einfach alles mal durchprobiert und gekocht. Ein Teil war geil, ein Teil hat nicht geschmeckt. Aber wir sind nicht mit einer Strategie darangegangen, so organisiert bin ich nicht. Es beginnt im Chaos und endet in etwas Leckerem. Die Wildschwein Dim Sum zum Beispiel sind aus einem Unfall entstanden. Ich wollte ein Ragout kochen, aber habe es in meiner verpeilten Art vergessen, also musste ich es irgendwie weiterverarbeiten.

Und das Ergebnis ist, wie der Titel deines Buchs, fuchsteufelswild?

Meine Wildküche ist einfach ein bisschen anders, mehr als das klassische Rehragout mit Schupfnudeln. Ich gehe mit den Aromen ein Stück weiter, bringe unterschiedliche Länderküchen, vor allem asiatische, ein. Wir packen das Wild zum Beispiel in ein Curry, kombinieren Reh und Hummus, machen Wildschweinfilet mit Minzjoghurt. Solche starken Aromen passen gut, weil auch das Wild sehr intensiv schmeckt.

Kreativ und wild, aber gleichzeitig traditionell und bodenständig – beschreibt das auch deinen Arbeitsstil?

Total! Das beschreibt eigentlich alles, was meine Schwester, mein Mann und ich als neue Generation im Spielweg versuchen. Hier ist so viel Tradition, so viel gewachsene Familienstruktur. Wir wollten das gar nicht so enorm aufbrechen, aber eben unsere eigenen Wege gehen.

Wie schaffst du es, den Spagat zwischen Tradition und eigener Persönlichkeit zu halten?

Meine Mutter ist aus dem Rheinland und würde nie sagen, dass Veränderung etwas Schlechtes ist. Sie hat immer schon geschaut, wo wir uns verbessern können und war sehr offen. Und das finde ich wichtig: Sachen ausprobieren und nicht stehen bleiben. Aber mal auszubrechen heißt nicht, dass es besser ist oder immer so sein muss. In der Küche können wir den Mix aus französischer Klassik, die ich gelernt habe, den Spielweg-Traditionen mit Wild sowie dem internationalen Twist sehr gut fahren. Dass wir ein Hotelrestaurant sind mit Gästen, die fünf Tage bleiben, macht es einfacher: Die wollen gar nicht jeden Tag klassisch essen, können aber auch nicht woanders essen gehen, ohne ins Auto steigen zu müssen.

Ihr habt nicht nur Wild aus der eigenen Jagd, ihr stellt auch Käse selbst her, backt Brot und erntet Gemüse und Kräuter aus dem Restaurantgarten. Steckt dahinter eine größere Idee?

Das ist kein PR-Projekt, sondern es ist so gewachsen. Den Käse hat mein Vater schon vor 30 Jahren aus der Milch vom Bauern hier oben hergestellt. Jeder hat gesagt: Spinnt der jetzt, Käse aus dem Schwarzwald zu machen? Damals ging es in der Gastronomie nicht um Nachhaltigkeit oder Regionalität. Mittlerweile hat sich das verändert, aber weil es bei uns schon immer da war, vergessen wir es manchmal. Aus der Molke, die bei der Produktion entsteht, wird zur Hälfte Ricotta, zur anderen Hälfte kommt sie ins Sauerteigbrot, gemeinsam mit einem Teil altem Brot und den alten Dampfkartoffeln. Ich nenne das den Spielweg-Kreislauf. Umso mehr Kreisläufe wir haben, umso wirtschaftlicher sind wir und umso mehr arbeiten wir im Einklang mit der Natur. Auch der Gemüsegarten, den meine Großmutter angelegt hat, ist schon immer da. Vor allem mehrjährige Kräuter wie Lorbeer, Estragon oder Fenchelgrün wachsen darin sowie viele Chilis. In zwei Wochen im Sommer ist dann alles auf einmal da und wir müssen es verarbeiten. Manches trockne ich, anderes friere ich ein. Es wäre vermessen zu glauben, dass das irgendwie reicht für die tägliche Küche. Aber viele Kräuter, die Kresse und auch alle Blüten zum Ausdekorieren stammen aus dem Garten.

Das klingt nach viel Arbeit. Warum lohnt sich das?

Natürlich ist das alles mehr Arbeit, kostet mehr Geld, ist personalintensiver. Aber wenn ich es so nicht machen könnte, würde ich es nicht gerne machen. Im Einklang mit der Natur zu arbeiten ist einfach sinnvoller, es macht mehr Spaß, es ist schöner anzuschauen, es schmeckt besser. Es ist auch nachhaltiger für die Mitarbeiter: Die Azubis lernen mehr, erzählen es in den Berufsschulen und kommen gerne zu uns.

Als dein Vater erkrankt ist, bist du zurückgekommen und hast seine Küche 2015 übernommen – ohne jegliche Führungserfahrung, in einer Küche und mit einem Team, das du im Grunde nicht kanntest. Wie hat sich das angefühlt?

Unerwartet, verrückt, überfordernd. Aber im Spielweg machen wir nie etwas als Einzelkämpfer. Das ganze Küchenteam war da, meine Mutter, meine Schwester waren da, mein Mann ist recht schnell nachgekommen. Gerade meine Schwester war zu dieser Zeit sehr prägend für mich. Kristin ist viel klarer und strikter als ich, hat das Management im Griff, ich bin eher der Freigeist und Kreativbolzen. Ihre Meinung hat mir schon immer viel bedeutet. Zum Beispiel bei der Entwicklung von Gerichten wie den Wildschwein Dim Sums: Am Anfang habe ich sie frittiert, das fand Kristin zu derb für den Spielweg, ich solle sie mal dämpfen. Ich war eh schon angepisst, weil ich die Reste verarbeiten musste – klar, ich dämpfe sie auch noch, was soll ich noch machen?! Aber Kristin weiß genau, wie sie dann mit mir umgehen muss. Und gedämpft waren die Dim Sums am Ende viel leckerer!

Du warst 25 Jahre alt, als du die Küche im Spielweg übernommen hast. Hattest du in dieser Position als junge Frau viel Gegenwind?

Natürlich ist das Küchenteam nicht begeistert, wenn die Tochter nach Hause kommt und alles auf den Kopf stellt. Aber ich hatte weniger das Problem, dass man mir nicht zugehört hat, dafür bin ich der falsche Typ. Dazu habe ich zu hart mitgearbeitet, meinen Job zu gut gemacht. Trotzdem glaube ich, dass Frauen in Führungspositionen mit vielen Vorurteilen zu kämpfen haben. Jeder Mann ist ständig schlecht gelaunt, aber wenn wir als Frauen mal schlecht drauf sind, heißt es gleich: die ist ja wahnsinnig zickig! Sowas spreche ich klar an, weil ich den Feminismus für eine gute Bewegung halte und glaube, dass wir da noch viel vor uns haben. Trotzdem: Männer müssen sich genauso durchsetzen, sie haben aber mehr Vorbilder. Wenn immer nur Männer vorne dran stehen, glaubst du als Frau gar nicht, dass du das auch kannst. Aber ich habe bei meiner Mutter von klein auf gesehen, dass auch Frauen führen können, und hatte mit Douce Steiner, bei der ich gelernt habe, drei Jahre lang eine Chefin. Deswegen waren Frauen in Führungspositionen für mich selbstverständlich. Ich bin nie davon ausgegangen, dass ich das nicht machen kann.

Die Tochter, die nach Hause kommt und alles auf den Kopf stellt! Wie hat die es geschafft, ein funktionierendes Küchenteam zu leiten?

Ich habe schon ziemlich viel verändert: die Speisekarte, das ganze Küchensystem, weg vom Teildienst, habe Schichtdienst eingeführt, Stunden verringert… Aber das alles nicht mit der Brechstange, sondern immer mit Humor und Zeit. Ich nehme mich selber nicht komplett ernst und habe kein Problem damit, mich für Fehler zu entschuldigen. Denn es war ganz bestimmt nicht alles gut. Auch das Küchenteam hat sich verändert – einige sind gegangen, Neue sind gekommen. Und nach zwei, drei Jahren waren die größten Schwierigkeiten geschafft.

Und heute? Wie bist du als Chefin?

Ich glaube, mein Führungsstil beruht sehr auf einem Miteinander. Es ist nicht meine Art, den gesamten Menschen ändern zu wollen, wie ich ihn gerne hätte. Jeder hat seine Qualitäten und genau dieser Mix ist es, der unser Team so besonders macht: junge Leute, die kein Problem damit haben, abends zu arbeiten oder Mütter, die heftig organisiert sind und vormittags durchpowern. Und so versuche ich, jedem entgegenzukommen. Der eine bekommt für jedes Heimspiel seiner Fußballmannschaft frei, der andere für irgendwelche Tattoo-Termine, mein Mann für die Jagd. Und auch ich muss Urlaub machen, weil ich sonst einfach nicht gut drauf bin und das an anderen auslasse.

Wie wichtig ist der Nachwuchs in eurem Team?

Die Azubis sind die Zukunft. Wir kriegen immer noch viele Azubis, worüber ich sehr happy bin: Von insgesamt 18 Leuten in der Küche sind neun Azubis. Das sind tolle junge Leute, wenn die nach drei Jahren gehen, ist das, als würde dein Kind ausziehen. Aber wenn man hört, dass ein Großteil der Azubis in der Gastronomie nach der Ausbildung gar nicht mehr in der Küche arbeitet, ist das ein Armutszeugnis für die Branche. Das spricht dafür, wie schlecht wir den Beruf vorleben. Es geht auch hier um Vorbilder! Wenn ich mit 32 am Ende meiner Kräfte bin und keine Lebensfreude habe, dann stellt sich ein 16-Jähriger natürlich die Frage, ob er das machen will. Deswegen finde ich es so wichtig, Dienstpläne zu schreiben, die funktionieren, und vorzuleben, dass man nicht immer kurz vor dem Herzinfarkt stehen muss. Es kommt aber vor allem darauf an, dass man sich im Team wohlfühlt und der Umgang gut ist.

Du bist 2018 bei den Jeunes Restaurateurs aufgenommen worden, eine internationale Vereinigung von Restaurantbesitzern und Köchen der gehobenen Gastronomie. Wie kam es dazu?

Mein Vater war Gründungsmitglied der Jeunes Restaurateurs und wir waren schon als Kinder bei der Familientagung dabei, die einmal im Jahr stattgefunden hat. Man kennt sich also schon lange. Ich bin mit meinem Mann dann reingegangen, sobald es ging. Bei so einer Vereinigung hat man die gleichen Probleme, die gleichen Sorgen – da entwickeln sich auch Freundschaften. Es ist immer schön, wenn du Leute im gleichen Metier hast, die du einfach anrufen kannst.

Was hast du davon, Teil der Jeunes Restaurateurs zu sein?

Es ist in erster Linie eine Kooperationsgesellschaft für PR mit dem Ziel, Gäste zu generieren. Das hat sich aber in letzter Zeit weiterentwickelt: Wir haben eine eigene Schule, in der wir uns um den Nachwuchs kümmern. Wir machen eigene Veranstaltungen und tauschen untereinander Mitarbeiter aus. Ich lerne auch sehr viel darüber, wie andere Leute führen und kann tolle Kontakte knüpfen.

2020 ist dein Kochbuch Fuchsteufelswild erschienen, mit kreativen Wild-Rezepten aus deiner Küche. Wie ist die Arbeit als Kochbuchautorin?

Furchtbar nervig, ich hasse Rezepte! Deshalb koche ich sie nur, und meine beste Mitarbeiterin Lisa schreibt sie. Wenn ich Rezepte schreibe, kann sie niemand nachkochen, weil sie nicht stimmen. Ein Kochbuch ist wahnsinnig anstrengend, aber jede Arbeit wert! Es geht nicht darum, dass ich damit viel Geld verdiene, sondern ich muss es großartig finden und dann wird sich das hoffentlich schon verkaufen. So gehe ich grundsätzlich an meine Arbeit ran: Erstmal muss es großartig werden. Und dann schauen wir weiter.

Können wir also noch weitere Bücher von dir erwarten?

Das nächste Kochbuch ist schon für Herbst 2024 geplant. Es ist angelehnt an Fuchsteufelswild, aber kein Wildkochbuch. Es wird – sagen wir mal – halb so wild, aber mehr kann ich noch nicht verraten. Wir haben bald den ersten Fototermin mit der Fotografin Vivi d’Angelo, einer Freundin von mir. Ich kann nur mit Leuten arbeiten, mit denen ich auf einer Wellenlänge bin. Und was Bilder angeht, bin ich ein harter Perfektionist. Der Witz und die Geschichte hintendran müssen stimmen. Ein Buch braucht immer eine Seele, so wie ein Restaurant eine Seele braucht.

Danke, liebe Viktoria, für das Gespräch!

Interview: Emmelie Öden

"Es muss großartig werden!"
Mit 25 Jahren hat Viktoria Fuchs Leitung und Küche des Hotels ihrer Familie übernommen. Im Spagat zwischen der über 160-jährigen Tradition des Hauses und ihrer eigenen Kreativität hat sie eine Wildküche entwickelt, die sie weit über das Münstertal hinaus bekannt gemacht hat: Als Gastjurorin bei „The Taste“ hat sie den perfekten, wilden Löffel gesucht, bei den Jeunes Restaurateurs knüpft sie Kontakte zu anderen Spitzenköchen und in ihrem Kochbuch Fuchsteufelswild teilt sie ihre kulinarischen Ideen mit der Welt.