Inspiration

"Ich will das ganze Leben leben"

Nachts brechen sich Nicole Kobjolls Kreativität und ihre Weitsicht Bahn. Dann bringt sie ihre Gedanken zu Papier. Darüber, wie es sich anfühlt, ihren Schindlerhof in zweiter Generation zu führen, über das Unwort der humanen Ressource, über ihr Gewächshaus der guten Gedanken und der guten Geschäfte, über das GANZE Leben, das sie leben will und über Kraft, mobilisiert in der Krise: „300 Tage geschlossen zu haben hat sich nicht direkt wie ein Sabbatical angefühlt. Wir haben die Zeit aber wie ein Sabbatical genutzt!“

92 Hotelzimmer, zehn Tagungsräume, ein Restaurant – fast 40 Jahre erfolgreich und stetig gewachsen, positioniert und vielfach ausgezeichnet als Seminarhotel, bester Arbeitgeber, Hotelier des Jahres und anderes mehr. Dann Corona. Der von Klaus und Renate Kobjoll gegründete Schindlerhof bei Nürnberg hat sich 2021 neu erfunden. Tochter Nicole setzt Akzente. Das Seminarhotel wurde zum Schindlerhof - Hoteldorf der Sinne. Kommunikation, Tagungen und Seminare, das alles hat sich im Kontext der Krise verändert. Man zoomt anstatt eine Geschäftsreise auf sich zu nehmen. Der Schindlerhof braucht zusätzlich zu den Businessgästen die Privatnachfrage. Das passt jetzt: Menschen werden älter, investieren in ihr Wohlergehen und sind bereit, sich immer noch weiterzuentwickeln, Neues zu lernen. Urlaub in Deutschland ist eine Wertschöpfung verheißende Entwicklung. Darauf setzt die Familie Kobjoll mit ihrem 50-köpfigen Team. In der Erfolgsgeschichte steht ein neues, spannendes Kapitel an.

Gastivo Magazin: Liebe Nicole, wie geht es Ihnen?

Nicole Kobjoll: Mir geht es sehr gut! Unsere Gäste sind glücklich, wieder bei uns zu sein. Das macht uns glücklich und mich ganz besonders. Vor allem das Restaurant lief sofort wieder unglaublich gut.

 

Was empfehlen Sie Gästen in Ihrem Restaurant?

Was ich am liebsten mag: die Ente, das Tartar und den Schindlerhof Burger.

 

Was hat Ihre Gäste, die den Schindlerhof vor der Krise kannten, am meisten überrascht, als sie nach den Lockdowns wiederkamen?

Der Schindlerhof ist zum Hoteldorf der Sinne geworden, das sieht und spürt man schon bei der Anreise. Wir haben eine runde Einfahrt gebaut, die Rezeption ist in einen neuen Anbau umgezogen. Die alte Rezeption ist jetzt eine Lounge, zusätzlich gibt es eine Außenlounge. Eine neue Liegewiese weckt Strandgefühle, von unserer Vinothek mit Getränken versorgt. Man spielt Boule unter einer Platane, Schach und Tischtennis draußen, kann am Außenschreibtisch arbeiten oder im Strandkorb einen Drink genießen und ...

 

... ich sehe schon, das Haus ist kaum wiederzuerkennen. Klingt nach ganz viel Wellness. Haben Sie das Seminargeschäft aufgegeben?

Weiterentwickelt haben wir’s! Das Seminarprogramm unserer Tagungsleiterin Andrea Höllmüller bietet lifewide Learning. Der Trend zu lifewide anstelle von lifelong Learning lässt es zu, dass wir über unsere bisherigen Seminarangebote hinaus, ‚wider‘, konzipieren. Beispielsweise Chi-Gong, Meditation, schamanischen Reisen auf der Suche nach dem inneren Krafttier, Ernährungs- und Gesundheitsthemen, Waldbaden, das Bewusstsein für den eigenen Körper entdecken (Eutonie), Imkerei und Selbstheilung (MBSR) nach Jon Kabat-Zinn. Wir gehen davon aus, dass ein ganzheitlicher Weiterbildungsansatz zukünftig essenzieller Bestandteil des betrieblichen Gesundheits-Managements attraktiver Arbeitgeber sein wird. Und wir glauben, dass Kurzurlaube in Deutschland boomen werden – zu Lasten von Fernreisen. Wir sind bereit.

 

Nichts ist so stark, wie eine Idee, deren Zeit gekommen ist.

Genau!

 

Was machen Sie, falls Sie im Herbst/Winter nochmal schließen müssen, weil die Pandemie aufflammt?

Wir sind Experten geworden in Hilfen und Beihilfen. Wir haben inzwischen reichlich Erfahrung mit Krisen. Finanzkrise 2009, Corona Lockdowns. Ein neuer Lockdown würde uns zumindest nicht existentiell bedrohen. Natürlich gibt es Worst-Case-Pläne. Unsere Krisen-Projekte heißen schon immer „Killing the Dragon!“. Da schwingt, trotz notwendiger drastischer Sparmaßnahmen, immer noch ein wenig Abenteuer mit. Ein Garant fürs Überleben sind vor allem unsere eigenen Immobilien, die inzwischen weitgehend entschuldet sind, und unser großartiger Team Spirit.

Wann sind Sie als treibende Kraft in den Schindlerhof eingestiegen?

Der Schindlerhof wurde an meinem zehnten Geburtstag, am 23.09.1984, eröffnet. Das war meine Geburtstagsfeier, und seit diesem Tag bin ich am Unternehmen beteiligt. Nach dem Abi lernte ich Französisch, habe für vier Jahre an der École Hôtelière de Lausanne studiert und im Ausland Erfahrungen gesammelt. Im April 2000 bin ich zurück nach Hause gekommen und das Abenteuer der Unternehmensnachfolge hat begonnen.

 

Da hat sich Ihr Vater sicher sehr gefreut. Was haben Sie von Klaus Kobjoll gelernt?

Durchhaltevermögen und innere Stärke. Wir sind uns sehr ähnlich und haben uns noch nie gestritten. Die Grundlagen in unserer Familie sind Vertrauen, Respekt und Liebe. Mein Vater hat mir von Anfang an alle Freiheit gelassen, und die braucht es, um am Puls der Zeit zu bleiben. Ich glaube, dass jede Generation etwas Neues mitbringt, was für ihre Zeit wichtig ist.

In meiner Generation kam zum Beispiel die Digitalisierung. Wir haben seit fast 12 Jahren eine eigene Mitarbeiter-App, die wir inzwischen an über 600 Firmen in aller Welt verkauft haben. Krankenhäuser, Banken, Logistiker, die teilweise über 20.000 Mitarbeiter beschäftigen, arbeiten mit unserer App. Während des Lockdowns haben wir sogar DSGVO-konform Videokonferenzen realisiert. Wir nutzen unser eigenes System jetzt für hybride Konferenzen, zum Beispiel Familienfeiern, zu denen Verwandte zugeschaltet werden können, die nicht persönlich kommen konnten. Seit dem laufenden Schuljahr gibt es unser System auch in einigen Schulen.

In der Generation meines Sohnes werden wieder andere Dinge wichtig sein, und das ist gut so.

 

Der Schindlerhof ist einer der renommiertesten Arbeitgeber in Ihrer Region. Was ist für Sie Führung?

Fucking Leadership! Alle Welt spricht von Mitarbeiterführung. Mitarbeiter - das sind ja keine Hunde, die an der langen oder kurzen Leine geführt werden, Kommandos empfangen und ein Leckerchen entgegennehmen, wenn sie etwas richtig machen! Menschen arbeiten auch nicht für Unternehmen. Sie arbeiten im Normalfall für Menschen mit Visionen. Bevorzugt bei solchen Menschen mit Visionen, bei denen sie ihr volles Potenzial entfalten können ohne dabei unnötige Energie zu verschwenden. Natürlich haben auch wir in der Krise Mitarbeiter an andere Branchen verloren. Das hielt sich aber zum Glück in Grenzen. Und wir haben die Aussicht darauf, dass einige zurückkommen.

Unternehmen der Zukunft sind keine Hundeschulen, sondern WGs mit ausgesuchten Mitbewohnern, die höhere Ziele verfolgen als nur Geld zu verdienen. Die Menschen der Zukunft wollen einen Beitrag zum Ganzen leisten, etwas in die Welt bringen. Im Team siegen, leben, arbeiten und feiern.

 

Wie erhalten Sie sich Ihre Frische und Fröhlichkeit?

Ich liebe es, das GANZE Leben zu leben, nicht nur das Geschäft. Lifewide Learning habe ich verinnerlicht. Ich mache vieles, um meine Freude und meine Neugier nicht zu verlieren. Ich beschäftige mich mit MBSR – Mindfulness Based Stress Reduction, betreue als Imkerin fünf Bienenvölker, liebe Waldbaden, und seit Kurzem halte ich Wachteln. Und warum sollte ich nicht auch das intuitive Bogenschießen nutzen, das wir unseren Gästen anbieten: In unserem neuen Bogenkino finden Team- oder Familienevents statt, in denen die Teilnehmer auf bewegte Ziele schießen. Wie gut passt das in unsere Zeit! Alles ändert sich schnell. Wichtig ist, offen zu bleiben.

Je mehr ich mache, desto mehr sehe ich, dass alle Welten auf eine Art vernetzt sind. Es ist absolut bereichernd, in möglichst viele Welten einzutauchen und darin zu Hause zu sein. Unterschiedliche Menschen, unterschiedliche Projekte – das macht perspektivenflexibel. Das hilft sehr, und das macht übrigens auch kreativ.

 

Sind Sie auch eine kreative Köchin?

Probieren Sie mal meine Salbei Nudeln – zubereitet mit eigenem Salbei!

 

So gewinnt man Freunde! Und verraten Sie uns auch, wie man Gäste gewinnt?

Wir haben in Birgit Heinhöfer eine sehr gute PR-Beauftragte, mit der wir redaktionelle Beiträge entwickeln, außerdem die Homepage, und wir nutzen die sozialen Medien.

Dann haben wir unsere zweite Firma, Glow & Tingle, die auch der Kommunikation für den Schindlerhof dient. Hier halten wir Vorträge zu unterschiedlichen Themen, mit praktischen Beispielen vom Schindlerhof. Das zahlt auf unsere Marke ein und ist bezahlte Werbung – nur, dass nicht wir dafür bezahlen. Klaus gestaltete in seinen stärksten Jahren 220 Seminartage. Ein großes zeitliches Invest. Ich möchte maximal 50 Tage im Jahr darauf verwenden.

Aber die beste Werbung ist und bleibt die begeisterte Empfehlung von Gästen und Fans, die andere neugierig auf uns machen!

 

Haben Sie ein persönliches Credo?

Als ich mit 19 ins Ausland ging – und dort bin ich ja sechs Jahre hängen geblieben – hat mir mein Vater zum Abschied seine schönste Uhr geschenkt. Dazu hat er einen Zettel geschrieben: „Ich bin sprachbegabt, ich bin tough – ich schaffe alles, was ich mir vornehme!“.

Das ist ein wunderbares Geschenk, das er mir da mit auf den Weg gegeben hat. Einen Glaubenssatz mit Kraft, Power, innerer Stärke. Immer wenn ich auf die Uhr gesehen habe, habe ich mich daran erinnert. Und es ist bis heute mein Motto.

Nicole Kobjoll: Nachfolger versus Vorreiter

"Unternehmensnachfolge – was für ein Wort! Und da wundern sie sich, dass kaum einer Bock darauf hat. Wer will denn nachfolgen, noch dazu in einer Zeit, in der es so viel zu entdecken gibt? Nachfolgen. Das klingt wie eine Reise in die Vergangenheit, wie Höhlenforschung. Dabei muss es doch um Vorreiter gehen, in jeder Generation, die überlegen, was sie heute tun können, damit das Unternehmen auch morgen noch kraftvoll zubeißen kann. Es geht eigentlich um Unternehmens-Vorreiter statt Nachfolger!

Dieses Gefühl müssen wir den neuen Generationen geben: Ihr begleitet die Organisation in die Zukunft. Unternehmens-Zukunfts-Begleiter! Das klingt schon besser für mich, wenn auch noch etwas holprig. Es geht aber nicht darum, dass es gut klingt. Es geht darum, dass es sich gut anfühlt. Da gehören mindestens zwei Generationen dazu, manchmal auch mehr. Oft sind sie verstrickt in Erwartungen, die kein Mensch erfüllen kann. Bei zu viel Erwartung geht irgendwann nichts mehr.

Es braucht eher Vertrauen, gesunden Menschenverstand und letztendlich Liebe. Das ist für mich das Wichtigste! Natürlich braucht es auch Respekt. Auf allen Seiten. Jeder Zukunfts-Begleiter eines Unternehmens hat ihn verdient. Respekt. Egal in welcher Generation!

Die Gründer selbst sind, genau genommen, auch Unternehmens-Zukunfts-Begleiter – eben von einem noch sehr jungen Unternehmen. Für das Unternehmen selbst geht es klar um den Unternehmenserhalt. Über die Zeit der Gründer hinaus. Das Unternehmen will überleben. Deshalb gibt es auch nur dieses eine gemeinsame Ziel. Jeder bringt seine Talente ein, um dorthin zu gelangen. Und vermutlich hat jeder andere Talente – ohne Wertung! Das ist doch gut so!

Der Zufall trifft den vorbereiteten Geist, und ich bin sicher: Die neuen Talente werden von Nutzen für die Organisation sein, wenn auch vielleicht nicht auf den ersten Blick. Wenn das klar ist, dann macht es den Weg vielleicht ein bisschen leichter. Nimmt etwas Druck von dem enormen Druck! Und dann: die vielen Leute, die ihren Senf dazu geben! Die meinen, es besser zu wissen, als hätten sie die Weisheit mit Löffeln gefressen. Sie reden mit, oft ungefragt. Am Anfang hat mich das oft verunsichert und auch verletzt. Kein gutes Gefühl, in Schubladen fest zu sitzen im Kopf von Menschen, die keine Ahnung von der Familien- und Unternehmens-DNA haben!

Auch wieder Druck… Mit Druck muss man umgehen können als Unternehmens-Zukunfts-Begleiter. Auch wieder: egal, in welcher Generation. Daher vielleicht das Wichtigste: persönliche Stärke und Glaubenssätze, die Kraft geben. In diesem Sinn: Ihr seid mutig, ihr seid stark! Ihr schafft alles, was ihr euch vornehmt! Und wenn Euch jemand ärgert, dann sagt euch einfach, was juckt es eine Eiche, wenn…

Ich mag keine Ratschläge. Es fühlt sich nicht gut an. Die Entscheidung zum Vorreiter / Nachfolger oder für einen ganz anderen Weg muss jeder alleine treffen; und dann dafür die volle Verantwortung übernehmen.

Aber wenn sich mein Sohn Max einmal aus freien Stücken dazu entscheidet, Unternehmens-Zukunfts-Begleiter zu werden, dann würde ich ihm sagen: Arbeite an deiner inneren Stärke und bleib wahrhaftig. Setze deine Talente ein, so gut du kannst, und entdecke das Neue. Das eröffnet neue Welten. Das Leben besteht nicht nur aus der Welt des Unternehmens. Leb‘ mehr vom ganzen Leben!

Vieles ist verbunden und hängt auf eine Art miteinander zusammen. Bring alles ein, zum Wohl des Unternehmens und zum Wohle aller, die damit zu tun haben. Bleib perspektivenflexibel und offen. Erhalte dir die Lebenslust, durch alle Passagen. Und vergiss bitte nicht, was das Wichtigste ist: die Liebe!"

 

Das gesamte Interview zum Download.