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„Jetzt mal ganz ehrlich!“

Interview mit der Köchin und Gastronomie-Unternehmerin Cornelia Poletto

Cornelia Poletto ist wohl Deutschlands bekannteste Köchin. Restaurant, Deli, Bar, Kochschule, Kochshows, Kochbücher, eine Zeitschrift, Feinkost und Wein, Events wie das Palazzo (zukünftig am Bahnhof Dammtor in Hamburg), kulinarische Reiseberichte – sie spielt die ganze Genuss-Klaviatur. In Hamburg-Eppendorf liegt die Keimzelle der Marke Cornelia Poletto. Hier ist sie eine Institution. Sollte man für die Goernestraße je einen neuen Namen finden wollen, böte sich die Cornelia Poletto Genussmeile an. Denn hier liegen wie an einer Perlenschnur ihre Kochschule, daneben in einer ehemaligen Geflügel-Metzgerei das nach ihrer Tochter Paola benannte Deli mit einer Bar und am Ende der Straße das Restaurant. Alles Poletto!

Gastivo Magazin: Liebe Cornelia Poletto, herzlichen Glückwunsch, Sie haben die Corona-Zeit dafür genutzt, Ihr Restaurant umzubauen, ein Deli und die Bar PAOLAs zu eröffnen.

Cornelia Poletto: Die Bar PAOLAs war ein Geschenk für meine Tochter zu ihrem 18. Geburtstag. Sie studiert allerdings jetzt seit August Music Business in Nashville/Tennessee. Sie ist unheimlich musikbegeistert.

Begeisterung in Erfolg münden zu lassen – bestimmt hat sie das in den Genen. Wie lange kochen Sie schon, Frau Poletto?

Seit fast 30 Jahren – unfassbar! Das weiß ich genau, weil wir letztes Jahr 30-jähriges Jubiläum bei meinem Lehrmeister Heinz Winkler – drei Michelin-Sterne, im Chiemgau – gefeiert haben, da habe ich im zweiten Jahr angefangen

Obwohl Sie ja eigentlich Tierärztin werden wollten …

Dafür haben meine schulischen Leistungen nicht gereicht. Ich habe mich immer unglaublich für Essen interessiert und gerne gegessen. So kam ich zu meiner Ausbildung. Heinz Winkler ist zwar Südtiroler, aber die Küche war französisch geprägt. Anfang der 90er Jahre hat man Sterneküche mit Luxusprodukten verbunden – Kaviar, Hummer, Austern, Gänsestopfleber. Mir hat der Aufwand, der in der Arbeit mit diesen Produkten und im Betrieb eines Sternelokals steckt, sehr gefallen. Trotzdem habe ich mein Feld in der italienischen Küche gefunden mit ihren Aromen, ihrer Leichtigkeit und Einfachheit – genau mein Ding – und dann viel Zeit mit Anna Sgroi verbracht, die heute eine Freundin ist. Von ihr habe ich gelernt, wie man feinste Ravioli herstellt und die besten Risotti kocht. Jeder ambitionierte junge Koch ist erst einmal geprägt von den Stationen, die er durchläuft – und dann ist es Zeit, einen eigenen Weg, seinen roten Faden zu finden.

Anna Sgroi steht für eine sizilianische Gourmetküche. Wie beschreiben Sie Ihre Küche heute?

Es ist eine pure, respektvolle Küche, italienisch geprägt. Respekt vor den Zutaten, den Lebensmitteln, der Zubereitung. Eine Hauptzutat, getragen von schönen Ölen und Gewürzen. Pur. Das Selbstbewusstsein habe ich heute.

Was muss ich mitbringen, um bei Ihnen anfangen zu dürfen?

Wenn bei uns junge Köche zum Probearbeiten kommen und nur ein Sägemesser mitbringen, können sie gleich wieder nach Hause gehen. Denn man sieht daran, dass sie keinen Respekt vor dem Produkt haben, egal, ob es eine Karotte ist, oder ein wunderschöner Fisch. Dieser Respekt vor dem Lebensmittel macht meine Küche aus. Und ich glaube, man kann seinen Gästen nur dann einen Wohlfühlabend bereiten, wenn auch die kleinen Details stimmen. Mitarbeiter, Ambiente, Küche – das muss alles miteinander harmonieren. Ich neige da leider zum Perfektionismus. Ich bin immer ganz schlimm, wenn ich in eines meiner Outlets gehe, und da liegt ein Stück Papier herum oder ein Fussel oder irgend so etwas.

Wie haben Sie sich im Lauf Ihres Berufslebens persönlich als Chefin entwickelt?

Gott sei Dank glaube ich sagen zu können: postiv. Man hört ja viele Geschichten von großen Chefs, die cholerisch und laut sind. So wie in dem Film Ratatouille. Mein erster Chef Heinz Winkler war tatsächlich ein herrischer Typ. Auch ich war in den ersten Jahren, als ich mich gerade selbständig gemacht hatte, oft aufbrausend. Ich wollte eben alles perfekt haben. Aber irgendwann hielt ich mir den Spiegel vor und habe mir gesagt: Nein, das bist du nicht, so macht das keinen Spaß. Man kann sich und sein Restaurant nur entwickeln, wenn man mit den Menschen, mit denen man zusammenarbeitet, gute, respektvolle Umgangsformen pflegt. Ansagen müssen natürlich klar sein, aber ich glaube, ich bin heute in der Küche viel entspannter als früher. Teamgeist und Humor sind mir wichtig. Ich bemühe mich darum, Leichtigkeit ins Geschäft zu bringen, auch mal über mich selbst zu lachen und damit die Mitarbeiter abzuholen. Genauso wichtig: Wertschätzung. Meine Mitarbeiter, die mich teilweise schon 10, 20 Jahre begleiten, so wie meine Kati, Kathrin, Joelle, Basti und Roland – das sind meine Sterntaler! 

Sterntaler – das klingt nach Wolke Sieben beim Thema Personal.

Gutes Personal für die Küche, noch schlimmer für den Servicebereich – das war schon vor Corona ein Thema. Das Schlimme ist, wir wissen in unserer Branche eigentlich alle, was zu tun wäre, nur kriegen viele den Turn-around nicht hin, weil sie ständig kompensieren müssen, beispielsweise, weil viele Leute in andere Branchen abgewandert sind. Viele wollen einfach keine langen Tage oder immer abends arbeiten. Wir haben für uns Lösungen gefunden, deshalb sind wir personell sehr gut aufgestellt. Natürlich gibt es mal ein Wochenende wie zum Eppendorfer Landstraßenfest, wo wir alle Rock’n Roll durchziehen müssen. Da hilft auch eine tolle Bezahlung. Ein Servicemitarbeiter sollte nicht mit dem Trinkgeld rechnen müssen. Das sollte tatsächlich ein Taschengeld sein. Der respektvolle Umgang, die Wertschätzung und das Interesse an einander, dass wir miteinander im Gespräch sind und bleiben – ja, das ist zeitintensiv, aber es trägt Früchte.

Sie haben mit Ihren Aktivitäten eine regelrechte Genusswertschöpfungskette entwickelt. Wofür schlägt Ihr Herz am lautesten?

Ich bin im Moment fokussiert darauf, wieder aktiv in meiner Cucina, im Restaurant und im Deli dabei zu sein. Ich spüre die tolle Stimmung im Team, wenn das Produkt gut ist und die Gäste sind super zufrieden, das bringt einfach viel, viel Spaß. Für mich hat die Arbeit in der Küche etwas von Meditation, selbst an der Nudelmaschine zu stehen und meine Tortelli Aglio e Olio zu machen – dabei kann ich abschalten.

Wie kriegen Sie all Ihre Aktivitäten unter einen Hut? Die Marke Cornelia Poletto lebt ja davon, dass Sie omnipräsent sind.

Ich bin ein emotionaler Mensch, der wirklich alles aus dem Bauch heraus entscheidet, manchmal auch zu schnell. Ich bin selbst erstaunt darüber, wie groß die Marke Poletto geworden ist. Mein top Team und mein Mann, der mich unterstützt, das sind Säulen, auf die kann ich mich verlassen. Ich kann zehn Küchenschlachten schlagen und weiß, dass es in den anderen Bereichen gerade auch ohne mich läuft.

Sie setzen sich für gesunde Ernährung ein. Wie kann man ernährungsbedingten Wohlstandskrankheiten vorbeugen? Ist das eine politische Aufgabe?

Man kann die Politik allein nicht dafür in die Pflicht nehmen, dass die Menschen nicht in der Lage sind, sich vernünftig zu ernähren. Ich würde mir wünschen, dass Ernährung ein Thema in den Schulen wird. Ich habe schon oft in Schulen mit Kindern gekocht, oder im Altonaer Kinderkrankenhaus. Ernährung ist ein riesen Thema: Die jungen Menschen, die heute vegan oder vegetarisch unterwegs sind, haben viel zu wenig Hintergrundwissen, was tatsächlich eine gesunde Ernährung ausmacht. Wenn ich die Zutatenliste bei veganen Ersatzprodukten für Käse oder Wurst lese, werde ich richtig wütend. Wenn ich eine Forderung an die Politik habe, dann die, Ernährung zum Unterrichtsfach zu machen. Eine gute Ernährung ist genauso wichtig wie Bildung, sie ist wie das Öl für den Motor. Ohne läuft es nicht.

Sie haben als TV-Köchin eine enorme Reichweite. Können Sie mit Ihren Kollegen hier Einfluss nehmen?

Ja, das glaube ich tatsächlich: meine TV-Kollegen, aber genauso meine Kolleginnen und Kollegen in der gehobenen Gastronomie. Gehoben heißt, wir arbeiten mit frischen Produkten. Wir leisten hier schon sehr viel. Das gilt genauso für das Thema Nachhaltigkeit, Nachhaltigkeit ist in einer Küche wie meiner eine Selbstverständlichkeit, aber nicht erst, seitdem alle das Thema strapazieren, sondern schon immer.

Mehr Austausch mit Lehrern zum Thema Ernährung wäre sicher gut…

Allerdings werde ich nie vergessen: Als meine Tochter noch Schulkind war, sind wir dieses Thema Ernährung in der Schule angegangen. Ich bin da genauso gescheitert wie Jamie Oliver gescheitert ist. Es ist unfassbar: Weder Lehrer noch Eltern hatten Interesse daran, hier irgendetwas zu verbessern. Ganz ehrlich: Viele wissen nichts darüber. Wir müssen deshalb eigentlich noch viel mehr darüber sprechen, darüber informieren. Dafür sind zum Beispiel die sozialen Medien geeignet, auf die ich übrigens privat gut verzichten kann. Allein dieses ständige Fotografieren von Essen – fürchterlich.

Apropos soziale Medien: Nichts zu wissen schützt nicht davor, zu kritisieren. Ganz ehrlich, Frau Poletto, bringen die Kritiken selbst ernannter Gastro-Experten und Food-Blogger die Gastronomie weiter?

Viele sind da sehr schnell unterwegs und verbreiten in den digitalen Kanälen ungerechtfertigte Kritik, weil sie gar nicht qualifiziert sind, eine Leistung beurteilen zu können. Bei Blogger-Veranstaltungen in unserer Kochschule spreche ich das regelmäßig an, weil es einfach nervt, wenn jemand ein Restaurant auseinandernimmt ohne Hintergrundwissen; da wird einfach so weggeschrieben und gepostet. Und es ist doch ein Unding, wenn man an der Anzahl seiner Follower gemessen wird und nicht mehr daran, was man tut.

Was reagieren die Blogger in Ihrer Küche auf Ihre Kritik?

Sie sind immer sehr respektvoll, das finde ich ganz witzig. Sie freuen sich eigentlich darüber, dass man das mal so ehrlich ausspricht. Ich glaube, dass ich schon den einen oder anderen zum Nachdenken gebracht habe.

Was rufen Sie Gründern zu, die jetzt mit einem eigenen Betrieb loslegen wollen?

Ich finde es ganz, ganz toll, wenn man sich heute überhaupt noch traut, sich selbständig zu machen. Und ich würde jedem empfehlen, der mit hundertprozentiger Überzeugung und Leidenschft etwas Eigenes aufbauen möchte, sich zu trauen, aber trotzdem sehr gut darüber nachzudenken und sich einen Menschen aus der Branche als Mentor an die Seite zu holen. Die Selbständigkeit in dieser Branche ist hart. Da tut es gut, wenn man einen alten Hasen an der Seite hat.

Engagieren Sie sich auch als Mentorin?

Ja, ich hatte gerade ein intensives Gespräch mit einer Dame aus der Ukraine. Sie absolviert ein duales Studium und wir haben über Personal Branding, über Marke und Unternehmertum gesprochen. Ich nehme mir gern Zeit dafür, meine Erfahrung weiterzugeben.

Neben Ihrer Erfahrung mit Genuss haben Sie auch große Erfahrung mit dem Thema Verzicht. Halten Sie als Genussbotschafterin bitte ein Plädoyer fürs Fasten!

Ich bin der größte Fan des Fastens! Einmal im Jahr, meistens im Januar, drücke ich durch das Fasten sozusagen die Reset-Taste. Alle Geschmacksnerven werden auf Null gestellt. Es ist wirklich ein Erlebnis zu sehen, wie sich der ganze Körper von allem Bösen befreit und auflebt. Man hat plötzlich wieder eine ganz andere Gesichtsfarbe. Mit dem Fasten kommen eine neue Energie und ein ganz neuer Geschmackssinn. Gerade nach dem Weihnachtsgeschäft, wenn ich von der vielen Arbeit wirklich fertig bin, ist Fasten einfach großartig.

Liebe Cornelia Poletto, da wünschen wir Ihnen und Ihrem Team jetzt zunächst ein tolles Vorweihnachtsgeschäft. Und vielen Dank für das Gespräch!

Das Interview führte Ann-Christin Zilling

Das gesamte Interview zum Download.