Interviews

''Man muss etwas tun''

Für Kerstin Rapp-Schwan fängt jeder Tag gut an. Sie wacht grundsätzlich gut gelaunt auf, und wer sie kennt, bewundert ihre Energie. Ein Lokal? Nein, fünf, gemeinsam mit ihrem Mann Martin Rapp. Daneben ihr Engagement für Tellerrand Consulting, gemeinsam mit Tim Mälzer, Patrick Rüther, Sven Freystatzky und Tim Koch. Außerdem ihre Mitarbeit im Leaders Club (Initiativen Leere Stühle, Manifest des dritten Orts, Online Exchange) und ihre Tätigkeit für die Hospitality Personalberatung Konen & Lorenzen.  

Kerstin Rapp-Schwan ist eine Frau, die sich als Gastgeberin, als Beraterin sowie als Sprecherin für die Hospitality Branche einsetzt. Eine Teamplayerin und Netzwerkerin. Aus dem Miteinander mit anderen zieht sie ihre Kraft. 

 

Im Gastivo Fokus: die Gastgeberin. 4 x Schwan Café-Heimat-Restaurant in der Düsseldorfer Altstadt, in Derendorf, Pempelfort und Neuss am Markt, plus 1 x Beethoven in Flingern. Positionierungsmerkmal: Hier leben traditionelle Lieblingsgerichte von Oma Käthe Schwan (1911-2000) auf. Die Favoriten der Enkelin: Schnitzel, Möhrengemüse, Schinkennudeln und Gulasch. Wir schreiben das Jahr 2021: „Ein Schnitzel muss schmecken und so aussehen, dass man es fotografieren und posten will“, lacht die Gastgeberin. Insta lässt grüßen. Social Media, Digitalisierung – für Kerstin Rapp-Schwan eine große, gelöste Aufgabe. Keine leichte! „Anfangs hatte ich das Gefühl, im Kopf total verkrustet zu sein.“ Am Ende sind aber doch alle Restaurants durchdigitalisiert – so bleibt mehr Zeit für anderes. 

Gastivo Magazin: Liebe Kerstin, wie geht es Ihnen? 

Kerstin Rapp-Schwan: Wie auf einer Achterbahnfahrt. Ich bin seit 20 Jahren selbständig und war noch nie auf irgendjemanden angewiesen. Jetzt haben wir Hilfen vom Staat angenommen. Die Hand aufhalten zu müssen, das fand ich befremdlich. Wir haben keinerlei Planungssicherheit. Nur eins ist sicher, und darauf freue ich mich: Wenn wir wieder öffnen, werden wir überrannt! Die Freude wird zurückkommen, und wir werden die Aufgabe zu bewältigen haben, mit einem ausreichend großen und rechtzeitig eingearbeiteten Team bereitzustehen.  

 

Wie sieht Ihr Arbeitstag typischerweise aus? 

Typisch für mich ist, dass es nichts Typisches gibt. Morgens kümmere ich mich um meine neunjährige Tochter, checke in den Nachrichten aktuelle Einschränkungen und Anforderungen, und dann gibt es Tage, an denen ich mich um Schwan kümmere, an anderen um Tellerrand Consulting oder weitere Projekte. Wir hatten zum Beispiel schon Anfang Dezember ein Corona Testzentrum im Restaurant. 

 

Damit waren Sie in NRW wohl die ersten! Werden die Schwan Restaurants nach der Krise dieselben sein wie davor? 

Nein. Wir hatten vor der Krise schon schöne Läden – das Verdienst meines Mannes, er hat ein Händchen für Ästhetik. Nach der Krise wird der Schwan wiedererkennbar, aber geliftet, runderneuert sein, optisch, in den Prozessen und mit auf Renner gestrafften Speisekarten. Neue Gesichter haben wir auch. Wir sind zudem komplett in die Digitalisierung gegangen. Das war für mich ein großer Schritt. Ich bin zwar mit 47 noch nicht so alt, aber diese ganzen digitalen Tools haben mich anfangs verrückt gemacht. Jetzt bin ich drin und es ist super. Unsere Gäste werden ihre Rechnung aufs Handy geschickt bekommen. Natürlich bezahlt man bargeldlos. Unser Webshop lief schon während der Krise gut, zum Beispiel unsere Oster-Boxen. Nach der Krise sind wir Schwan 2.0, vielleicht sogar 3.0! 

 

Welche Veränderungen springen den Gästen als Erstes ins Auge? 

Verschiedene QR-Codes für die Speisekarte und für die Datenerfassung. Wir nutzen Smudos Luca-App – die habe ich bei Tellerrand Consulting kennengelernt, weil Smudo gleich zu Anfang bei uns war. 

 

Was wird sich für die Schwan Crew ändern? 

Eine ganze Menge. Cloudbasiertes Kassensystem, Webshop, Gäste-Datenerfassung, Laufwege – wir schulen und trainieren wann immer es möglich ist, unter Berücksichtigung aller nötigen Vorkehrungen mit Präsenztrainings, denn eine neue Kasse, die muss man spüren. Eine große Veränderung: Im Restaurant sind wir zukünftig hybrid unterwegs. Das heißt, der Gast kann mittels QR-Code bestellen und bezahlen oder beim Service. 

 

Aber damit entfällt ja die Beratung durch den Service... 

Ja, das ist eine Riesendiskussion. Aber gerade mittags geht es auch um Schnelligkeit, hier kamen wir immer wieder an unsere Grenzen. Auch ich wurde schon von Freunden darauf angesprochen, „ich hätte gern noch ein drittes Bier bestellt, aber der Service kam nicht mehr an unseren Tisch“. Oder wenn sich jemand kurzfristig krankgemeldet hat und der Service in Unterzahl spielt. Ja, ich bin Gastgeberin geworden, weil ich Menschen einfach liebe und aus dem Kontakt Kraft schöpfe. Trotzdem dürfen wir vor Neuerungen nicht die Augen verschließen. Mit Tools wie diesen können wir auch dem immer dramatischeren Personalmangel besser begegnen. Wie gesagt: Wir machen das hybrid, die Technologie entlastet den Service.

Sie bringen nicht nur im Restaurant Menschen an einen Tisch zusammen. Wo begegnet man Ihnen? 

Menschen zu vernetzen, das bringt mir wahnsinnig viel Spaß. Im Leaders Club bin ich schon seit 2002 Mitglied, seit drei Jahren im Vorstand. Der Austausch mit anderen Gastronomen und mit der Industrie, immer auf Augenhöhe und partnerschaftlich, mündete in der Krise in wichtige Initiativen. Die Leere-Stühle-Aktion konnten wir nach dem Vorbild in Dresden in über 80 Städte tragen. Die Online-Exchange-Veranstaltungen haben mit Top Referenten wie dem Zukunftsforscher Matthias Horx Motivation und Zusammenhalt gebracht. Der Film Manifest des dritten Ortes ist viral gegangen. Und wir hatten die Möglichkeit, gegenüber der Politik die Anliegen der Gastronomie zu vertreten, direkt im Bundestag. 

 

Anfang letzten Jahres sind Sie bei Tellerrand Consulting eingestiegen. Was machen Sie da? 

Tellerrand Consulting war ursprünglich das Backoffice für die Eigenbetriebe der Beteiligten. Die Weiterentwicklung der Steuerung und der Verwaltung inklusive Digitalisierung nahm Fahrt auf und es kamen immer mehr Beratungsanfragen herein. Deshalb wurde das geöffnet und Sven Freystatzky (Burgerlich Restaurants), Tim Koch (Bobby&Fritz) und ich sind zu Tim Mälzer und Patrick Rüther dazugestoßen. Wir beraten Gastronomen, Investoren, Projektentwickler und Städte unter anderem in Fragen der Konzeption, der Marken- und Strategieentwicklung, Design Steuerung sowie Optimierung und Angebot; auch Einkaufszentren in der Konzeption von Food Halls. Mein persönliches Steckenpferd sind die Themen Personal und operative Abläufe. 

 

Werden Sie nach der Coronakrise dafür noch Zeit haben, wenn Ihre Restaurants wieder alle geöffnet sind? 

Wir gehen davon aus, dass es nach der Krise erst richtig losgeht! Die Branche braucht jetzt gute Ideen für danach, und es ist kein Geheimnis, dass gerade Einkaufszentren Nachholbedarf haben. Wir sind in Gesprächen mit Stadtentwicklern, da geht es um die tragende Rolle der Gastronomie in Innenstädten. Ich werde zukünftig voraussichtlich die Hälfte meiner Zeit in Tellerrand Consulting investieren. Viele unserer Gesprächspartner, Investoren oder Planer, kennen sich mit der operativen Seite des Gastronomiegeschäfts nicht aus, da kann ich mich sinnvoll einbringen und wirklich helfen. Wir sind bei Tellerrand alle sehr fokussiert und haben viel Spaß zusammen. Wir sind dort, wo wir gemeinsam aufgetreten sind, oft mit sehr guten Ergebnissen wieder rausgegangen. Und viele wollen gern mit uns zusammenarbeiten, nicht nur, weil wir so eine bunte Truppe sind.

 

Wer sucht Hilfe bei Tellerrand Consulting? 

Es sind Individualgastronomen, die teilweise romantische Vorstellungen von der Gastronomie haben. Im Zweifel sagen wir dann: Lass es. Teilweise sind es tolle Start-ups, aber auch welche, die man erst in die Realität holen muss. Und es sind Gastgeber, die ihr Konzept mit professioneller Unterstützung auf den Prüfstand stellen wollen. Bis hin zu Einkaufszentren, die den ganzen Food Court neu aufziehen, sowie Stadtplaner mit der Anforderung „Wir haben hier zwei Straßenzüge – was muss passieren?“, oder eine Riesenimmobilie, für die sich die Frage stellt, wieviele gastronomische Einheiten sind sinnvoll und wo sollten diese sein? 

 

Können Sie mit Blick auf die Zeit nach Corona in der Gastronomie Trends identifizieren? 

Vor der Krise war das ganz klar das Sharing-Thema: alle essen von einem Teller. Das dürfte aber aus Hygienegründen vielleicht problematisch werden. Ich denke, der Gast wird mit einem noch höheren Anspruch an Sicherheit und Qualität ins Restaurant kommen. Und der Wettbewerb, insbesondere mittags, wird größer, weil Metzger, Bäcker und der Lebensmitteleinzelhandel zu Gastgebern werden. Home Office wird Einfluss nehmen auf die gastronomische Infrastruktur. Das betrifft Gastronomen, die sich ihren Standort bewusst in der Nähe von Unternehmen mit vielen Beschäftigten gesucht haben. Das ganze Außer-Haus-Geschäft wird nach dem Lockdown vermutlich wieder zurückgehen, aber nicht wegfallen. 

Welche Zukunft sehen Sie für das Thema Nachhaltigkeit in der Gastronomie? 

Früher hieß es „Hoffentlich hatte das Tier keinen Namen“, heute freut man sich, wenn das Tier einen hatte, denn dann weiß man, dass es ihm gut ging. Ich finde, wir sollten gute Lebensmittel kaufen und zu einem vernünftigen Preis verkaufen. Wir sollten uns auf Leinsamen besinnen, statt Chiasamen vom anderen Ende der Welt zu verarbeiten, oder Avocados, die dreißig Liter Wasser für ihr Wachstum brauchen, in Ländern, in denen Wasser ohnehin knapp ist. Der ökologische Fußabdruck ist definitiv auch in der Gastronomie ein Thema, mit Recht und zum Glück.  

 

Ist Nachhaltigkeit auch für Getränke ein Thema? 

Das ist eine gute Frage. Spontan würde ich sagen: auf jeden Fall. Das Bewusstsein, wo kommt das Getränke her, in welcher Flasche wird es angeboten, PET oder Glas? Das kommt bestimmt. 

 

Wie wird die Gastronomielandschaft in Deutschland nach der Krise aussehen? 

Es werden einige verschwinden, die schon vorher keinen guten Stand mehr hatten und die es verpasst haben, ihr Konzept immer wieder neu zu erfinden. Wir stellen uns ja permanent die Frage: Wie relevant sind wir noch für unsere Gäste? Wie lang ist der Lebenszyklus meines Konzeptes? Aus Sicht meines Teams stelle ich diese Fragen eher zu oft. Ich glaube, dass es einen Professionalisierungsruck gibt. Wer nur von Schwarzgeld gelebt hat, oder ohnehin nur noch wenige Jahre dabei bleiben wollte, ist vermutlich weg. Leider habe ich die Sorge, dass große Ketten sich viele Standorte schnappen und Individualisten vertreiben. Das ist der Unterschied von Deutschland beispielsweise im Vergleich zu den USA, dass wir hier großartige Individualisten haben. Und ich wünsche mir von der Städteplanung, hier bewusst nicht nur zu fragen, wer die höchsten Mieten zahlen kann, sondern auch einen vernünftigen Mix in der Stadt gestalten zu wollen.  

 

Haben Sie selbst neue Standorte für die Schwan Gruppe im Auge? 

Vor der Krise hätte ich nein gesagt, aber jetzt tun sich Möglichkeiten auf, Standorte, bei denen ich denke, das könnte funktionieren. Aber das besprechen mein Mann und ich mit unserem Team, da gehen wir behutsam vor. Andere sind expansiver unterwegs als wir.  

 

Ihre Empfehlung für Neugründer in der postpandemischen Gastroszene? 

Das ist vom Standort abhängig und sieht auf einer nordfriesischen Insel anders aus als in der City von Berlin. Es können noch viele Konzepte erfolgreich verwirklicht werden, wenn sie am richtigen Ort und mit den richtigen Menschen aufgestellt sind, mit Fokus auf Qualität und Service, mit einem Businessplan und einem Masterbudget. Gastronomie besteht aus hunderttausend Kleinigkeiten, und alle muss ich im Griff haben. Nicht zuletzt: Man sollte lieben, was man tut. 

 

Worauf hätten Sie persönlich Lust, unabhängig vom Schwan? 

Auf ein richtig tolles Eiscafé mit Patisserie, eine Eismanufaktur. Ich kenne das aus Belgien, diese Konditoreien, du kommst rein und verliebst dich in jedes kleine Schokoladending, dessen Qualität dich regelrecht anspringt. Im Eis die Milch vom Bauern XY und alles saisonal. Himbeereis gibt es nur, wenn es herrliche Himbeeren gibt. Darauf hätte ich Lust! 

 

Wenn wir gerade von Schönheit sprechen: Wie wichtig sind Instagram und andere soziale Kanäle für die Gastronomie? 

Leider nicht mehr wegzudenken. Wir denken schon bei der Rezeptentwicklung daran, dass ein Gericht auf dem Teller so aussieht, dass es gern in den sozialen Medien geteilt wird. Facebook wird im Moment zwar kleingeredet, hat aber eine Riesenrelevanz. Wir sprechen mit unserem Konzept Schwan ja eine breite Zielgruppe an. Ich kann mich nicht nur auf die Zwanzigjährigen auf Tiktok verlassen, wir müssen alle Kanäle bedienen. 

 

Wir kommen zum Schluss, haben wir noch etwas Wichtiges vergessen? 

Ja, ich möchte noch gern erwähnen, dass ich auf Projektbasis für Konen und Lorenzen arbeite. Hier werden auch Interimsmanager – Betreiber – für Gastronomiebetriebe vermittelt. Und gerade entsteht hier eine feine Kooperation mit Tellerrand Consulting. Das Personalthema wird nach der Krise noch größer sein als vorher.  

 

Und so ist Ihr Netzwerk wieder etwas größer und dichter geworden. Chapeau, liebe Kerstin, und herzlichen Dank für das Gespräch! 

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Für Kerstin Rapp-Schwan fängt jeder Tag gut an. Sie wacht grundsätzlich gut gelaunt auf, und wer sie kennt, bewundert ihre Energie. Ein Lokal? Nein, fünf, gemeinsam mit ihrem Mann Martin Rapp. Daneben ihr Engagement für Tellerrand Consulting, gemeinsam mit Tim Mälzer, Patrick Rüther, Sven Freystatzky und Tim Koch. Außerdem ihre Mitarbeit im Leaders Club (Initiativen Leere Stühle, Manifest des dritten Orts, Online Exchange) und ihre Tätigkeit für die Hospitality Personalberatung Konen & Lorenzen.
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