Interview mit den Chefs im Berliner Sternelokal Tulus Lotrek: Max Strohe und Ilona Scholl
Tulus Lotrek heißt das lässige Berliner Sternelokal von Max Strohe und Ilona Scholl in Berlin-Kreuzberg. Es ist bekannt für ebenso lustvolle wie präzise Napfgerichte, einzigartig für die Sternegastronomie. Hier werden Bauchentscheidungen getroffen. Wer das Glück hat, auf einem der 32 Plätze in schönstem Altbau-Ambiente platznehmen zu dürfen, kann sich auf einen wuchtigen Gaumenschmaus mit Nachhall freuen, dazu launige Geschichten der Gastgeberin, die allerdings alles andere ist als ein Erklärbär. Erzählt wird, was die Gastgeberin selbst begeistert und beim Gast Vorfreude schürt. Es geht um Meisterschaft auf dem Teller – hier: Napf. Und dann um diesen Moment, wenn dieser perfekte Löffel einen ein klein wenig ehrfürchtig macht.
Dabei ist hier nichts und niemand abgehoben. Der Hang zu Opulenz (die Soßen und Fonds!) und Präzision, der Vollakkord auf jedem Löffel, liegt Max Strohe im Blut und hat ihm schon zwei Jahre nach der Lokalgründung den ersten Michelin-Stern beschert, um nur eine der vielen Auszeichnungen zu nennen. Seitdem zelebriert das Duo Strohe und Scholl ihre Leidenschaft gut ausgeleuchtet. Strohe ist zudem regelmäßiger Gast in Tim Mälzers Kochshow Kitchen Impossible, wie auch Tim Raue, ein guter Freund der beiden. Man kennt sich, man schätzt sich, man duelliert sich. Popularität ist gut fürs Geschäft.
Gastivo Magazin: Lieber Max, Du kommst gerade von einem Dreh in Italien zurück, dein Kollege Tim Raue war auch dabei. Worauf dürfen wir uns freuen?
Max Strohe: Ich darf darüber ja gar nicht reden. Aber da andere Kollegen auch bei Instagram posten, wo sie gerade sind, sind das offene Geheimnisse. Von mir so viel: Es war sehr schön und das Essen war natürlich großartig! Kein Wort zu den Wettbewerbern oder gar zur schwarzen Box!
Bist du lieber im Fernsehen oder in deinem Berliner Sternelokal Tulus Lotrek?
Das Restaurant ist der Startschuss für alles, für beruflichen Erfolg, für Selbstverwirklichung und natürlich mein liebster Ort, tatsächlich mein zweites Zuhause. Aber Fernsehen macht auch Spaß. Man sieht dank Licht und Kameras immer besser aus als in echt, Kitchen Impossible ist ein tolles Format und es ist einfach eine gute Sache, sich als Koch im Fernsehen zu bewegen, ohne Fernsehkoch zu sein. Ein modernes Abenteuer. Wann hat man das schon, dass man irgendwo hin fährt, ohne zu wissen, wo es hin geht und was passieren wird! Man ringt quasi mit der kulinarischen Existenz in der Öffentlichkeit.
Gegründet im Herbst 2015, steckt dein Tulus Lotrek mitten im verflixten siebten Jahr. Oder ist es gar nicht verflixt?
Wir haben uns durch zwei wirklich verflixte Jahre ganz gut durchmanövriert. Jetzt spüren wir ordentlich Rückenwind. Ah, da kommt ja die große Frau Scholl! Iloni, schau mal, ich bin...
Herein kommt Max Strohes Partnerin im Leben und im Restaurant, Ilona Scholl.
Ilona Scholl: Oh, entschuldigt bitte! Ich gehe gleich wieder.
Max Strohe: Nein! Zu zweit sind wir immer besser!
Ilona Scholl: Okay, ich bin fünf Minuten dabei, dann drucke ich Karten, damit es heute abend etwas zu essen gibt.
Dann lasst uns über eure Küche sprechen! Wie hat sie sich seit der Lokaleröffnung entwickelt?
Ilona Scholl: Ich serviere, deshalb kann ich hier das Feedback der Gäste und meinen eigenen Gaumen zum Juror machen: Wir sind anfangs hemdsärmelig rangegangen, Max hat sich ins Tulus Lotrek und damit in sich selbst reinkochen müssen. Fragen nach unserem Stil sind wir immer raffiniert aus dem Weg gegangen.
Max Strohe: Immerhin wussten wir immer ganz genau, was wir auf gar keinen Fall machen oder sein wollen!
Ilona Scholl: Unsere Gäste haben uns machen lassen und dann geschah es irgendwann: der typische Strohe-Teller, diese Napfgerichte, in die man sich mit Anlauf reinstürzen will. Was ich an Max‘ Küche toll finde: sie funktioniert für die totalen Foodies mit viel Erfahrung, man kann alles toll zerdenken, muss man aber nicht. Sie funktioniert genauso gut, wenn jemand seine Oma vom Dorf mitbringt, die das einfach lecker findet. Ich mag das sehr, was Max macht, das ist nämlich nicht so zwanghaft verkopft.
Was genau ist ein Napfgericht?
Max Strohe: Ein Napfgericht ist übereinandergeschichtet. Man könnte sagen, es ist vertikal gekocht, nicht horizontal. Anfangs war das ein Schmähbegriff. Man hat mir schon vorgeworfen, dass meine Küche nicht „instagramable“ ist. Wir schaffen hier keine Skulpturen. Mir ist es wichtig, dass der Gast gar keine andere Möglichkeit hat, als den perfekten Löffel abzukriegen.
Ilona Scholl: Wenn man die Zutaten alle schön nebeneinander ausbreitet, dann muss man sich da durchessen und hat viele verschiedene Kombinationen, die vielleicht gar nicht so toll sind. Max macht da keine Kompromisse. Es muss am Gaumen funktionieren, der perfekte Vollakkord!
Max Strohe: Die deutsche Vorstellung von gehobener Gastronomie ist immer diese fleißige, pingelige Geduldsarbeit, wo man von links nach rechts isst, alle möglichen Sachen mit verschiedenen Texturen, teilweise noch eingefärbt, damit noch ein gelbes Pünktchen auf dem Teller ist. Dafür fehlt mir erstens die Geduld und zweitens finde ich so einen typisch deutschen Streber-Teller nicht geil. Wären wir in Skandinavien, würde man das Napfgericht für das puristische Design lobpreisen, aber in Deutschland ...
Ilona Scholl: Lecker soll es sein!
Max Strohe: Ja! Wenn ein Gast früher auf die Frage „Wie hat es geschmeckt“ mit „Lecker!“ geantwortet hat, dann hieß es, „oh, wie undifferenziert!“. Aber eigentlich ist lecker das genau richtige und schöne Wort, denn da steckt das Tellerablecken drin: „Das war so zum Tellerablecken!“. Süffig ist auch ein schönes Wort, das zu uns passt.
Ilona Scholl: Unsere Küche hat sich aus einer opulenten Süffigkeit in eine süffige Eleganz entwickelt, das könnte man sagen.
Max Strohe: Ja, das stimmt, wir sind eleganter geworden, und im Gaumen nachhallend. Es ist intuitive Bauchküche, emotional und ehrlich. So!
Wieviel Erläuterung braucht die Sterneküche? Schmeckt der Gast nur, was er weiß? Können Geschichten ein Weg sein, um mehr Leute für die Sterneküche zu begeistern?
Max Strohe: Ich glaube, man kann Kunst erspüren, ohne dass man so ganz genau weiß, was einem der Künstler damit sagen will. Essen soll Emotionen auslösen, der Genuss steht im Vordergrund. Natürlich kann man Leute an Dinge heranführen, indem man sagt, wie und warum man etwas so oder so gemacht hat. Aber ob das letzten Endes zu einem größeren Genuss führt? Vielleicht ist es auch kontraproduktiv, wenn man das Geheimnis des Napfs lüftet. Vielleicht schürt ja eben diese Vielschichtigkeit, diese Undurchsichtigkeit den Genuss.
Ilona Scholl: Ich bin im Service ja für die Narration zuständig. Ich inszeniere, weil ich selbst begeistert bin und erzähle, was mir wichtig ist. Ich stifte Vorfreude. Bei uns gibt es zum Beispiel eine vegetarische Bouillabaisse. Die hat Max gemacht, weil wir darüber gesprochen haben, wie schade es doch ist, dass Vegetarier niemals eine Bouillabaisse essen können. So etwas erzähle ich gerne, weil es eine Challenge war. Meine Funktion ist es, kurz mal die Aufmerksamkeit der Gäste zu schärfen. Ich komme an den Tisch und unterbreche das Tischgespräch. Es ist, wie wenn man das Gericht einmal mit Worten anleuchtet.
Max Strohe: Wie die Geschichte zu Massimo Botturas Lemon Tarte. Das Gericht heißt „Oops, I Dropped the Lemon Tarte“. Die Geschichte geht so: Bei einer Veranstaltung flutscht dem Praktikanten das Dessert aus der Hand und Massimo Bottura rettet ihm das Leben, indem er einfach alle Kuchenstücke auf die Teller klatscht, damit alle gleich aussehen.
Ilona Scholl: Der Lehrling wäre sonst vor Scham im Boden versunken! Aber dadurch, dass der Meister das Problem so gelöst hat, war alles okay. Solche Geschichten höre ich gerne, so etwas kann man erzählen.
Was ist Erfolg für euch?
Max Strohe: Ein volles Restaurant und glückliche Menschen. Und dieses Miteinander, dass wir Mitarbeiter haben, die gern bei uns sind und von dem, was wir machen, genauso begeistert sind wie wir. Ohne sie wäre es hier leer und traurig.
Misserfolge sind eine unheimliche Triebfeder für Erfolg. Aber das Größte war, dass ich Ilona kennengelernt habe.
Ilona Scholl: Und andersrum! Wir hätten das Lokal nicht ohne einander aufmachen können. Ich wäre niemals in die Gastronomie gegangen, wenn Max nicht ...
Max Strohe: ... genervt hätte! Ilona ist mein innerer Kompass!
Ilona Scholl: Ja, und Du hast so sehr daran geglaubt – das hatte ja quasi schon etwas Religiöses! -, dass wir das schaffen. Ich wollte da logisch herangehen, mit Marktanalysen und so, das ist alles vollkommener Quatsch. Niemand kann dir sagen, ob etwas funktionieren wird oder nicht. Aber Max war immer so. Dabei ist er kein naiver Optimist, sondern eher ein kritischer Geist. Das Krasseste an Max ist, dass er nicht aufgibt, niemals!
Max Strohe: Und Ilona mag Menschen wesentlich lieber als ich. Ich höre ja ziemlich schnell auf mit Menschen zu reden oder gehe auch gerne mal einfach weg. Ilona hat eine unglaubliche, kompassartige Empathie-Sensorik, mit der sie den Gästen ansieht, was sie wollen, bevor sie es selbst wissen. Du bist diejenige, die nicht aufgibt. Du gehst den Meter extra, wo ich längst aufgegeben hätte!
Ihr seid so ein Dream-Team! Euer Tipp für Leute, die Euch nacheifern wollen?
Max Strohe: Mein guter Rat an alle Menschen, die sich selbständig machen, Arbeitgeber oder mit vielen Menschen in Kontakt treten wollen: Hört auf euer Bauchgefühl! Wenn jemand im ersten Moment schon komisch ist, bleibt er das auch.
Gibt es einen guten Rat von jemand anders, der euch weitergeholfen hat?
Ilona Scholl: Wenn man so jung und unbedarft seinen ersten Laden aufmacht, da haben alle etwas zu sagen, wollen einem etwas einflüstern. Jeder weiß besser, was funktioniert und was nicht: Die Toiletten gehen gar nicht, die sehen aus wie auf dem Bahnhof, ihr dürft den Preis nicht überschreiten, Menüs gehen auch nicht, euch kennt keiner, die Nachbarn sind sch...
Max Strohe: Ach ja, zum Beispiel dieser Praktikant von der Zeitung! Aber wer wirklich etwas Kluges gesagt hat, das war der Kollege Tim Raue. Sinngemäß: Nur ihr selbst wisst, was ihr könnt. Wenn wir das ausstrahlen, kann alles überall funktionieren.
Ilona Scholl: Ja, ihr müsst machen, was ihr machen wollt, und das könnt auch nur ihr machen. Zusammengefasst: Mach dein Ding!
Gab es in eurer Story auch Pannen, aus denen Ihr gelernt habt?
Max Strohe: Du sitzt hier vor zwei sehr krassen Leuten, Dudes eben...
Ilona Scholl: ... die nie Fehler gemacht haben, in ihrem ganzen Leben nicht! Aber im Ernst: Eine ganz schlechte Idee ist es, dem anderen in seinen Bereich reinquatschen zu wollen, auch wenn es gut gemeint ist. Da haben wir uns gegenseitig schon viel Sorgen und Stress bereitet. Wir haben gelernt, uns gegenseitig zu vertrauen. Und dass man auf große, seriöse Partner mit Erfahrung setzt, anstatt auf kleine, meinetwegen sehr sympathische, die dir sagen, „ich mache dir das für ein Drittel der Kosten“. Es ist schon besser, wenn alles professionell verlötet ist. Und man braucht dringend einen guten Steuerberater, der einem so richtig auf die Nerven geht, wenn Belege fehlen! Und die richtigen Versicherungen, damit alles weggeregelt ist und man sich auf seine Arbeit konzentrieren kann.
Max Strohe: Auf jeden Fall sollte man sich von Bürokratie und den ganzen Steinen, die einem bei der Existenzgründung in den Weg gelegt werden, nicht beirren lassen. Man muss den Grundgedanken des Gastgebens hochhalten, den eigentlichen Beweggrund für die Selbständigkeit, dass man sich dafür entscheiden hat, Gäste glücklich zu machen. Das darf man nie vergessen.
Habt ihr ein persönliches Anliegen, das ihr im Gastivo Magazin loswerden möchtet?
Ilona Scholl: Ja, die Sängerin Sophie Hunger möge dieses Interview bitte lesen und zu uns zum Essen kommen. Ich möchte sie gern kennenlernen. Das ist mein Anliegen! Ich kann mir überhaupt nicht erklären, warum sie noch nicht hier war, ich finde, sie passt so gut zu uns!
Max Strohe: Find ich gut! Ich hatte ja anfangs die unglaublich gute Idee, das Lokal Hunger zu nennen, nach dem Buch Hunger von Knut Hamsun. Da haben aber alle gesagt, das sei keine gute Idee.
Jetzt heißt das Lokal Tulus Lotrek. Wie kam es zu diesem Namen?
Max Strohe: Wir sagen TULLUS LOHTREK, man muss das rheinisch breittreten. Ein großer Teil der Geschichte ist: Wir saßen bei Chardonnay auf Ilonas Balkon, waren betrunken und standen unter Druck, weil alle gesagt haben, der Name sei das Wichtigste. Wir haben viel überlegt. Irgendwann waren wir an dem Punkt, dass wir eine Kneipe wohl Harald Juhnke nennen würden, weil er – mit Stil – viel getrunken hat. Die Analogie zum Essen wäre Gérard Depardieu. Ich hatte von meinem Vater, der Kunsthändler ist, ein Kochbuch von Henri de Toulouse-Lautrec bekommen. Der Maler des Moulin Rouge hat eine interessante Vita, mit der wir uns dann beschäftigt haben, mit sehr vielen Facetten, die uns gut gefallen haben, die aber jetzt zu weit führen. Jedenfalls: Seine Gäste mussten immer sehr, sehr viel essen – das hat uns sehr, sehr gut gefallen! Da wir aber kein französisches Lokal eröffnen wollten – das Couchon bourgeois war hier vorher – und auch keinen Rechte-Ärger mit Erben bekommen wollten, heißt unser Lokal Tulus Lotrek.
Ilona Scholl: Heute bin ich noch viel froher darüber, dass es nicht Gera Depajö heißt! Und ich geh jetzt Speisekarten machen.
Liebe Ilona Scholl, lieber Max Strohe, vielen Dank für das Gespräch!
Das Interview führte Ann-Christin Zilling