Inspiration

NEW WORK

Coworking boomt. Soloselbständige, Unternehmer und Angestellte suchen immer öfter einen dritten Ort, an dem sie mobil arbeiten können. Auch Gastronomen erkennen dieses Potenzial und schaffen Konzepte, die Coworking mitdenken.

Eine brummende Siebträgermaschine, klapperndes Geschirr und entspannter Indie-Pop im Hintergrund – nach Büroatmosphäre klingt das nicht. Und doch sind Café-Gäste mit Laptop, Handy und Terminplaner neben dem Cappuccino schon lange kein ungewöhnliches Bild mehr.


Im BoBo in Hannover hat man sie beim Erstellen des Konzepts gleich mitgedacht. Coworker dürfen hier überall ihre Laptops auspacken, erzählt Inhaberin Caroline Bosselmann. Meistens sitzen sie aber am Community-Table, der mit Steckdosen ausgestattet ist und Platz für 17 Personen bietet. Weil der hochgestellte Tisch mitten im Raum für die Café-Gäste eher unattraktiv ist, kann das BoBo seine Plätze so bestmöglich auslasten. Denn die Nachfrage ist groß, erzählt Bosselmann: „Das beste Feedback zu unserem Konzept ist die Warteschlange vor der Tür.“  Hier stehen zu den Stoßzeiten bis zu 15 Gäste an.

Daneben schätzt Bosselmann die Atmosphäre, die durch das gemischte Publikum entsteht: Die Coworker – rund 25-30 Prozent der Gäste – sitzen neben Studenten, Familien und Freunden und kennen sich teilweise untereinander, weil sie regelmäßig herkommen. Trotzdem sind die Übergänge fließend. Manche Arbeitsteams etwa kommen morgens und frühstücken erst einmal gemeinsam, bevor sie anfangen zu arbeiten. Durchschnittlich bleiben die Coworker dann vier bis fünf Stunden, schätzt Bosselmann, manche auch nur eine Stunde, andere wiederum einen ganzen Arbeitstag. Trotzdem verkauft das BoBo keine Tagestickets, sondern finanziert sich allein über den Verzehr. „Wir sind vorrangig Gastronomie“, stellt Bosselmann klar. Gerade für gastronomische Tageskonzepte sieht sie großes Potenzial beim Thema mobiles Arbeiten: „Der Wandel wird nicht passieren, er passiert schon!“  Wo also ohnehin bereits WLAN und Steckdosen vorhanden sind, lassen sich einzelne Tische an Coworker vergeben, die die Atmosphäre bereichern.

Der 2,5-te Ort

Die Statistik gibt Caroline Bosselmann Recht, wenn es um den Wandel der Arbeitswelt geht: Immer mehr Menschen arbeiten mobil. Gut ein Viertel (24,2 %) aller Erwerbstätigen waren 2022 zumindest teilweise von zuhause aus tätig, stellte das Statistische Bundesamt fest – doppelt so viele wie noch vor Corona (12,9 % im Jahr 2019). Und das Potenzial ist enorm. Verschiedene Quellen gehen davon aus, dass rund 40-50 Prozent der Jobs in Deutschland zumindest teilweise ins Homeoffice verlagert werden könnten.

Das sind bis zu 23 Millionen Menschen, die künftig von zuhause aus arbeiten könnten – oder eben im Café. Denn dass immer mehr Erwerbstätige das heimische Büro verlassen, zeigt die wachsende Zahl an Coworking-Spaces in Deutschland: 1.852 Stück zählte der Bundesverband Coworking vergangenes Jahr. 2020 waren es noch 1.268. Gründe dafür gibt es viele: Die einen wollen das tägliche Pendeln vermeiden, die anderen können sich hier besser konzentrieren und wieder andere wollen Berufs- und Privatleben trennen oder wünschen sich einfach einen Tapetenwechsel. In Zeiten von New Work wandelt sich damit auch die klassische Aufteilung des ersten, zweiten und dritten Orts – das Zuhause, der Arbeitsplatz und Gemeinschaftsorte wie die Gastronomie. 

Konzepte wie das BoBo in Hannover siedeln sich also irgendwo zwischen dem zweiten und dritten Ort an.

Vielleicht der Beginn des 2,5-ten Orts?

Ein solcher Hybrid ist auch das hugsandplugs in Hamburg, das 2022 eröffnet hat. Als New Work Café verbindet es die Idee von Coworking-Space und Gastronomie.

Im vorderen Bereich, der Lounge, können es sich sowohl Café-Gäste als auch Coworker gemütlich machen. Im hinteren Bereich, dem Workspace, ist hochkonzentriertes Arbeiten möglich. Hier finden Gäste ergonomische Arbeitsplätze sowie Einzel- und Meetingräume, die mit einem Tages- oder Halbtagesticket gebucht werden können. 35 Euro kostet etwa ein Tagesticket inklusive 14-Euro-Verzehrgutschein für das Café sowie WLAN, Wasser, Kaffee, Tee und eigenem Schließfach. Im Gegensatz zum klassischen Coworking- Space profitieren Coworker hier von einer offenen und modernen Atmosphäre und der Infrastruktur des Cafés. Auch das Speiseangebot hat hugsandplugs an die New Work-Idee angepasst und das Konzept gemeinsam mit einer Ernährungsberaterin entwickelt.
Das Essen soll leicht verdaulich sein und Energie geben, sodass es nach dem Mittagsessen am Laptop direkt weitergehen kann. Dafür sorgen frisch verarbeitete, saisonale und zum großen Teil pflanzliche Zutaten.

New Work in der Provinz
Dass Coworking in der Gastronomie auch ein Thema abseits der Großstädte ist, zeigen Jörn Weisenberger und Andreas Becker mit ihrem Café Dösen im rheinland-pfälzischen Landau. Mit dem Deli-Konzept wollen sie städtisches Flair in den knapp 50.000-Einwohner-Ort bringen. Coworker sind ein Teil dieses Konzepts. Mit maximal 5-10 Prozent, wie Weisenberger grob schätzt, ist ihr Anteil jedoch recht gering. Das liege auch an der Lage – ein ehemaliges Bundeswehrgelände, das zum modernen Wohnquartier umgestaltet wurde – sowie an der Struktur Landaus.
Allerdings zieht die Provinz in Sachen New Work nach, nicht nur in Landau: Wie der Bundesverband Coworking feststellt, ist die Anzahl der deutschen Städte und Gemeinden, in denen es mindestens ein Coworking-Space gibt, in den letzten drei Jahren um 71 Prozent gestiegen. Den größten Zuwachs seit 2020 mit 217 Prozent verzeichnet sogar das ländliche Mecklenburg-Vorpommern.

Aber zurück nach Rheinland-Pfalz: Auf der Webseite, auf Facebook und Instagram kommuniziert Dösen klar: Coworker sind willkommen! „Viele Gastronomen wollen niemanden mit Laptop in ihrem Lokal haben, weil sie Tische blockieren. Aber wir haben hier recht viel Platz“, sagt Weisenberger und verweist auf rund 50 Sitzplätze innen plus weitere 90 auf der Terrasse, wo Gäste im Sommer ebenfalls arbeiten. In der Regel konsumieren die Coworker ausreichend, zum Beispiel morgens erst Frühstück, dann Kaffee und später ein Mittagessen. Dass Coworking allerdings nicht überall funktioniert, wissen Weisenberger und Becker aus eigener Erfahrung: In ihrem zweiten Lokal in Landau, der Suppenbar Suppe mag Brot, ist es kleiner, lauter und gerade in der Mittagszeit oft zu voll für Coworker. „Man muss einfach schauen, ob es zum Gesamtkonzept passt“, meint Weisenberger.

Von der Bar zum Büro
Doch sogar Gourmetrestaurants und Cocktailbars können vom Coworking-Trend profitieren – in ihren Schließzeiten. Diese Idee haben Björn Gieß und Patrick Runge in die Realität umgesetzt und Tapdesk in Bremen gegründet. Das Konzept ist simpel: Während die Gastronomie ohnehin geschlossen hat, können Coworker den Raum tagsüber zum Arbeiten nutzen. Für 49 Euro im Monat bekommen sie zwar keine Drucker oder ergonomischen Stühle wie im Coworking-Space, aber High- Speed-WLAN, Wasser und Kaffee. Um all das sowie um die Betreuung vor Ort kümmert sich Tapdesk. Die Gastronomen stellen lediglich ihre Flächen zur Verfügung, müssen aber ein paar Voraussetzungen erfüllen. Dazu zählen mindestens 15 Arbeitsplätze, ein geeignetes Lichtkonzept und Heizsystem. Außerdem sollen die Locations einzigartig sein: „Wir wünschen uns einen gewissen Charme, vielleicht mit einer Social Area oder einem Kicker“, sagt Gieß.

In Kooperation mit den Gastronomien entwickeln Gieß und Runge individuelle Lösungen: „Die Betriebe haben volle Flexibilität und Entscheidungsfreiheit.“ Ideal seien aber klassische Bürozeiten montags bis freitags von 9 bis 17 Uhr. Die Vergütung hängt dann von der Anzahl der Buchungen ab: Je mehr Buchungen, desto höher die Umsatzbeteiligung. Meist liege sie bei rund 60 Prozent für die Gastronomen. Im Gegenzug tragen diese die Kosten für Reinigung, Strom und Heizung im Winter. Kleine Events wie Afterhours sollen Gastro und Coworking miteinander verschmelzen. „Da sehen wir große Synergien, den Warenkorb von beiden zu erhöhen“, sagt Gieß. Im März ist Tapdesk in Bremen mit seinen ersten beiden Gastro-Partnern offiziell an den Start gegangen. Mit ein bis zwei neuen Locations pro Monat will das Start-up langsam wachsen, um seine Qualitätsstandards halten zu können – perspektivisch auch über Bremen hinaus. Gieß nennt etwa Hamburg, Oldenburg und Osnabrück, die noch 2024 folgen sollen.

 

Café ergänzt Coworking

Eine weitere Möglichkeit, Gastronomie und Coworking zu verbinden, ist das Konzept von roots’n’seeds: eine eigene, selbständige Gastronomie ergänzt ein klassisches Coworking-Space.

Die Brüder Dominik und Sebastian Groenen führen mit ihrem Unternehmen Orangery sieben Coworking- Spaces im ländlichen Raum und in Kleinstädten, in denen dieses Thema bisher kaum angekommen war: neben Hildesheim zum Beispiel Rostock oder Magdeburg.  Schnell haben sie gemerkt, dass eine Nachfrage für ein gastronomisches Angebot da ist – sei es der Barista-Kaffee zwischendurch oder das Mittagessen. Denn im Gegensatz zur Großstadt findet man dort keine Imbisse oder Delis im direkten Umkreis. Fortan haben die Brüder also Cafés in ihren Spaces integriert. Je nach Standort finden auch reine Café-Gäste den Weg zu ihnen.

In Stralsund, einem eher touristischen Umfeld, sogar gut 70 Prozent, schätzt Dominik Groenen. Auch hier darf der Laptop ausgepackt werden, wer aber eine ruhige Arbeitsatmosphäre, einen Schreibtisch und Infrastruktur will, bucht sich im Coworking-Space ein und erhält 10 Prozent Rabatt im Café. Und noch ein weiteres Standbein hat sich aus der Kombination von Coworking und Gastronomie ergeben: Catering. Angefangen hat es mit Firmen, die die gesamte Location für Events gemietet haben. Mittlerweile ist das Catering-Team mit dem Healthy Food-Konzept auch außerhaus unterwegs, unter anderem mit einem Foodtruck. 

Emmelie Ödén 

NEW WORK - Wie Gastronomie und Co-Working verschmelzen
Remote arbeiten ist spätestens seit Corona mehr als ein Trend! Erfahre, wie innovative Gastronomen den Coworking-Trend aufgreifen und einzigartige Konzepte entwickeln, die Gastronomie und mobiles Arbeiten miteinander verschmelzen lassen. Lese mehr über spannende Ansätze und die neue Rolle von Cafés als flexible Arbeitsorte im Artikel des gastivo Magazins.