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"Traut euch" Nicolas Kröger - ein Profi im Portrait

Nicolas Kröger hat 2020 seine Wagemut Bar in Berlin verloren, die er gerade erst 2018 eröffnet hatte. Trotzdem sagt er heute: „2020 war mein bestes Jahr ever.“ Lieber Nicolas: Wir müssen reden!

Nicolas Kröger beflügelt heute über seinen Youtube Kanal Wagemut Taste Academy den Verkauf seiner eigenen Spirituosen-Spezialitäten. In seinen drei bis dreißig Minuten langen Videos mit Titeln wie Caipi in geil macht er Bartender Profis und Konsumenten gleichermaßen Lust auf spannende Spirituosen, pur oder im Mix, und erzählt Geschichten zum Weitergeben. Außerdem steht er Unternehmen zur Seite, die eine Spirituose als Eigenmarke auflegen wollen. Und nicht zuletzt ist er ein gefragter Speaker und Entertainer in Sachen Rum – aus Leidenschaft.

Gleichzeitig sagt er aber auch, er habe in seinem Leben viel „Scheiße gebaut“. Sein Werdegang vom Schwarzbrennen über die Restaurantlehre zur Butlerausbildung bis zum Sommelier, Barbesitzer und Spirituosenhändler ist von Höhen, Tiefen und etlichen Sprüngen ins kalte Wasser geprägt. Das hat ihn krisenfest gemacht und damit zu einem, dem die Pandemie mit ihren Auswikungen nichts kann. Im Gegenteil! Wie geht das?

Gastivo Magazin: Lieber Nicolas, Frust, Wut, Empörung, Hoffnungslosigkeit – angesichts der COVID-19-Krise ist die Stimmung in der Barszene davon geprägt. Sind Sie das berühmte Gallische Dorf?

Nicolas Kröger: (lacht) Ich würde sagen, ich bin nicht das einzige Gallische Dorf, da gibt es noch andere. Ich habe in meinem Leben schon viele extreme Erfahrungen gemacht. Das hat mich geprägt. Die Folge ist, dass ich auf unschöne Umstände, wie wir sie jetzt haben, sehr nüchtern reagiere. Als sich der erste Lockdown abzeichnete, habe ich mir, wie immer in schwierigen Situationen, die Fakten vor Augen geführt: Ich muss meine Bar schließen. Schade. Gleichzeitig: Die Leute werden zu Hause sitzen, dort konsumieren, sie haben Zeit und werden in den sozialen Medien unterwegs sein. Was mache ich daraus? Aus dieser Klarheit ist der You Tube Kanal entstanden. Ich kann selbst immer noch nicht fassen, wie gut das funktioniert hat! Durch die Videos habe ich das Vertrauen vieler Leute gewonnen, ihre Neugier auf meine Spirituosen geweckt. Wir haben 2020 als Rekordjahr abgeschlossen – mit Abstand. Ich konnte das selbst kaum glauben.

Es hat offenbar etwas mit Ihnen gemacht, dass Sie so oft in Ihrem Leben ins kalte Wasser gesprungen sind.

Diese Klarheit, die aus der Bewältigung vieler schwieriger Situationen erwachsen ist: Da hast du einfach weniger Drama, die Dinge sind nicht so schlimm, weil du schon ganz anderes gemeistert hast. Alles relativiert sich. Durch meine Blauäugigkeit, Leichtsinn und Naivität und alles, was in jungen Jahren deshalb schief gelaufen ist, bin ich einfach trainiert fürs Unternehmerleben. Leute, bei denen immer alles glatt gelaufen ist, kommen nicht so gut zurecht, wenn sowas passiert wie diese Pandemie. Für die ist das dann eine ganz neue Welt.

Wen erreichen Sie mit Ihrem You Tube Kanal?

Alle Leute, die irgendwas mit Genuss zu tun haben, die das professionell machen, aber auch private Genießer bis hin zu Leuten, die lediglich ein latentes Interesse an Schönem haben. Ich spreche sie mit Videos an, die in unterschiedlichen Stilen gemacht sind. Mein Anliegen ist es, das Bewusstsein für Genuss zu verstärken, die Begeisterung dafür. Wenn man zum Beispiel meinen Empfehlungen für eine optimale Verkostung folgt, dann hat man einfach mehr Genuss, mehr Freude am Glas. Da nehme ich die Leute ein bisschen an die Hand und zeige ihnen meine wunderschöne Welt der Spirituosen. Mittlerweile habe ich so um die hundert Videos im Netz.

Was muss eine wirklich gute Spirituose können?

Mir geht es um Komplexität. Man kann sagen: Das ist alles Geschmacksache. Aber es gibt durchaus gut oder schlecht. Und das hat nichts damit zu tun, wie kräftig eine Spirituose schmeckt, das wird gern mit Komplexität verwechselt. Wenn ich etwas in meinen Mund führe, dann liegen Welten zwischen dem ersten und dem letzten Eindruck. Es findet eine geschmackliche Entwicklung statt, mit Steigerungen, Höhen und Tiefen. Wenn eine Spirituose eine geradlinige Entwicklung zeigt, dann ist das ein Indiz dafür, dass sie entweder sehr einfach ist oder dass getrickst wurde. Beispiel: Ein Rum, der ölig und weich schmeckt, suggeriert, dass er lange im Fass gelagert wurde. Kann aber auch sein, dass Zucker und Holzextrakt zugegeben wurden, wodurch er alt und gereift wirkt. Ist er es nicht, erkennt man das daran, dass die Komplexität fehlt.

Nicolas Kröger
Nicolas Kröger
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Sie hatten einen eigenen Gin im Angebot, den haben Sie wieder eingestellt. Warum? Müsste doch laufen ...

Ganz ehrlich: Die Welt brauchte keinen weiteren Gin. Ich habe das 2015 nur gemacht, weil mir der Gin Trend auf die Nerven ging. Alles wurde so verspielt. Ich wollte einen geradlinigen Gin haben und zeigen, wie Gin eigentlich sein sollte. Deshalb hieß der Gin HGSB – How Gin Should Be – ganz bescheiden! Heute produziere ich Gin für andere Firmen. Ich persönlich wollte da nicht mehr mitmischen, aber meine Freundin und meine Kumpels wollten keinen anderen Gin mehr trinken. Deshalb gibt es von mir quasi eine hinter-der-Hand-Nummer, nur für meinen Freundeskreis.

Und Gin ist ja auch sehr erfolgreich. Wer keinen Gin mag, hat wahrscheinlich einfach nur schlechte Erfahrungen mit minderwertigem Wacholder gemacht. Wir verwenden frischen Wacholder aus der Toskana, der als der beste der Welt gilt. Nicht getrocknet, sondern frisch verarbeitet. Der entfaltet eine Aromatik, das kann man sich nicht vorstellen! Wacholder ist ja sehr vielfältig und anspruchslos, gedeiht von Portugal bis Schleswig-Holstein. Je mehr Sonne er abbekommt, desto würziger, fast schon zitrusfrisch schmeckt er. Je weniger Sonne und je mehr Kälte, desto harziger. Das ist das ganze Wacholdergeheimnis.

Wo produzieren Sie?

Wir sind mit unserer Spirituosenmanufaktur gerade nach Quickborn gezogen, wo ich aufgewachsen bin. Außerdem arbeite ich für meine breite Produktpalette mittlerweile mit drei Destillerien zusammen. Je nachdem, welchen Destillatstil ich brauche, miete ich die entsprechende Anlage. Das hat auch etwas mit Kapitalbindung zu tun. Für eigene Anlagen in der Größenordnung, wie ich sie brauche, wäre ich bei einer Kapitalbindung von drei Millionen Euro, abgesehen davon, dass die ja auch irgendwo stehen müssen.

Woher nehmen Sie Ihre Energie und Ihre Zuversicht?

Die Freude an dem, was ich tue, macht alles wahnsinnig leicht. Ich werde gelegentlich nach meinen Hobbys gefragt. Ich verstehe die Frage nicht. Was ich tue ist das, was mich begeistert. Ich finde es faszinierend, etwas zu erschaffen, am Ende des Tages ein Ergebnis in Händen zu halten. Diese Faszination gibt mir eine unglaubliche Energie und treibt mich noch mehr an.

Was möchten Sie Kollegen – Bar- und Restaurantbetreibern – gerade jetzt zurufen?

Traut euch! Ich habe in meinem Leben viel Scheiße gebaut, das will ich gar nicht schönreden. Ich war auch schon so pleite, dass ich von einem Kilo Haferflocken mit Leitungswasser gelebt habe. Ich habe zigtausend Euro in den Sand gesetzt und bin hart an der Insolvenz vorbeigeschlittert. Alles keine schönen Erfahrungen.

Aber aus diesen Erfahrungen entsteht viel Wertvolles. Ich glaube, es ist wichtig, keine Wunder zu erwarten. Wunder geschehen nicht. Und es kommt auch keiner um dich zu retten. Das klingt hart, aber ich meine das vollkommen ernst. Ich möchte jeden ermutigen, innovativ zu sein, eigene Ideen zu entwickeln, Fehler zu machen, fleißig zu sein und die Dinge auch durchzusetzen, mit Selbstvertrauen und Ausdauer.

Die Summe meiner Fehler, aus denen ich gelernt habe, ist die Grundlage für alles, was für mich jetzt so gut funktioniert. Und aufgrund meiner Erfahrungen bringe ich meinem Erfolg jetzt viel Wertschätzung entgegen. Also: Leute, bleibt am Ball und traut euch! Und trennt euch von der Illusion, dass die Wiesen des Nachbarn saftiger sind als eure. Das ist nicht so.

Lieber Nicolas, wir danken Ihnen für das Gespräch!

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Nicolas Kröger hat 2020 seine Wagemut Bar in Berlin verloren, die er gerade erst 2018 eröffnet hatte. Trotzdem sagt der Spirituosen-Experte heute: „2020 war mein bestes Jahr ever.“ Lieber Nicolas: Wir müssen reden!
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