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„Wir haben die geilste Branche der Welt“

Interview mit Michael Kuriat, Multi-Gastronom, Netzwerker und Digitalisierungsexperte

Egal, ob es um Google, Dienstplantools oder Roboter geht: Michael Kuriat weiß, was die Gastronomie digital bewegt. Als Speaker und Berater ist er für fast alle Branchen unterwegs, doch sein Lieblingsthema bleibt die Hospitality. Schließlich liegen seine Wurzeln in der Gastronomie, und die hat er bis heute nie gekappt: Mehrere Locations in Leipzig und Umgebung hat er bereits während seines Medizinstudiums eröffnet und ist bis heute als Gesellschafter tätig.

In der Branche kennt man Kuriat wohl vor allem als Präsidenten des Leaders Club. Mit Aktionen wie den „Leeren Stühlen“ oder der Kampagne #DeinDritterOrt setzte er während der Corona-Pandemie mit dem Leaders Club viele Hebel in Bewegung, um der Gastronomie durch diese schweren Zeiten zu helfen. Doch die Nachwellen der ständigen Schließungen spüren Gastronomen bis heute und haben mit massivem Personalmangel zu kämpfen. Mit der neuesten Kampagne #gastrofamily will der Club mit seinen Partnern nun zeigen, so Kuriat, „wie schön diese Branche ist und wie viel Spaß es macht, darin zu arbeiten.“ Denn eines ist Michael Kuriat ganz sicher: immer in Bewegung, um die Herausforderungen nicht nur der Gastronomie mit viel Erfahrung und Talent zu meistern.

Gastivo Magazin: Lieber Michael Kuriat, bei Digitalisierung in der Gastronomie denkt man schnell an Roboter, die den Service ersetzen. Ist es das, was uns in Zukunft erwartet?

Michael Kuriat: Ich teile das Thema Digitalisierung in drei Bereiche auf. Erstens: Front of Stage, alles was am Gast passiert, zweitens das Backend – Verwaltung, Personalplanung – und drittens die digitale Kommunikation, also Social Media und Co. Beim Leaders Club Award im November haben wir sehr viel Robotik im Front of Stage-Bereich erleben dürfen und ich kenne eine Menge Beispiele, wo Roboter eine große Arbeitserleichterung sind.

 

Welche sind das?

Ganz generell in Lokalen, wo große Wege zurückgelegt werden müssen und viel Transport stattfindet. Im El Mundo in Bremen zum Beispiel fährt der Roboter zwischen Küche und den Servicestationen, ab dort übernimmt der Mitarbeiter. Es geht nicht darum, dass der Roboter den Gast bedient, sondern dass er einem Wege und Logistik abnimmt – Arbeiten, die niemand gerne macht. Aber gerade im Frontstage muss ich schauen: Passt das zum Konzept? Denn die Akzeptanz vom Gast und vom Team muss da sein!

 

Gibt es noch andere digitale Tools, um das Personalproblem in den Griff zu bekommen?

Ja, digitale Personalverwaltungs- und Dienstplantools leisten mittlerweile unglaublich viel. Wenn jemand ausfällt, gestalten sie den Dienstplan auf Knopfdruck neu. Ich glaube, dass der Dienstplan, der einen Monat vorher auf Papier geschrieben wird, nicht mehr zeitgemäß ist. Zudem gibt es intelligente Systeme, die tagesaktuelle Informationen wie Veranstaltungen in der Stadt, das Wetter, Schulferien und Daten aus dem Vorjahr oder Vormonat zusammenführen und mir Managementempfehlungen geben. Das heißt, dass ich als Gastronom weiß, wie die Frequenz oder der Umsatz nächste Woche wahrscheinlich sein werden. Dieser Forecast kann mir brutal helfen, Ressourcen und Personal zu schonen.

 

Ich passe meinen Betrieb also flexibel an die Gegebenheiten an?

Die Frage ist, ob ich noch ein Restaurant brauche, das ich komplett auf oder zu mache. Oder kann ich es an bestimmten Öffnungstagen mit weniger Personal bespielen? Ein modulares Konzept kann mir große Wettbewerbsvorteile bringen. Wer vom Personal steht schon gern in einem leeren Laden und wartet auf Gäste? Das ist am Ende also auch für die Mitarbeiterbindung ein ganz wichtiges Thema.

 

Lässt sich das auch auf andere Bereiche im Lokal beziehen?

Das betrifft auch die Karte: Mit digitalen Speisekarten habe ich ganz neue Möglichkeiten. Ich kann viel schneller auf Veränderungen im Einkauf reagieren und tagesaktuell Preise anpassen. Wenn Ware nicht verfügbar ist, nehme ich ein Gericht einfach aus der Karte, anstatt es in der Printversion durchzustreichen. Wenn ich einen neuen Laden eröffne, sollte ich das alles schon mitdenken. Es ist viel einfacher, etwas von vornherein einzuplanen als im laufenden Betrieb zu integrieren.

 

Wo steht die Digitalisierung der Gastronomie gerade?

Da geht die Schere weit auseinander. Bei Systemgastronomen und Multiplayern hat die Pandemie wie ein Katalysator gewirkt, sie haben die Zeit genutzt, um sich hier weiterzuentwickeln. Dadurch haben sie sich auch ganz klar Wettbewerbsvorteile erarbeitet. Dem kleinen Einzelgastronomen ist das so mit Sicherheit nicht gelungen. Ihm fehlt Personal und er steht oftmals selber im Laden, muss sich mit Kurzarbeitergeld und Rückzahlungen auseinandersetzen. Da ist gerade Land unter. Aber insgesamt geht es mit der Digitalisierung der Branche jetzt vorwärts – auch wenn die Nutzung der digitalen Tools weit hinter dem liegt, was möglich wäre.

Die Digitalisierung verändert ja nicht nur, wie Gastronomen arbeiten, sondern auch, welche Erwartungen Gäste haben. Welche Veränderungen beobachten Sie da?

Unser potenzieller Gast ist zu 100% digitalisiert. Zum Einmaleins gehört deshalb, dass ich gefunden werde und dass alle Infos über mich im Netz aktuell sind. Ein Laden, der bei Google als geschlossen angezeigt wird, ist für den Gast dann zu! Wenn Gäste eine negative Erfahrung machen, knallt das unter Umständen viel mehr rein als in der Vergangenheit. Ganz wichtig ist es deshalb, das Reputationsmanagement zu beherrschen. Ein Gast, der online eine Beschwerde oder auch ein Lob schreibt, erwartet heute eine Antwort, aber in der Masse bekommt er die nicht. Als Positivbeispiel die Enchilada-Gruppe: Da wird wirklich jede Rezension innerhalb von 24 Stunden beantwortet – egal ob Weihnachten oder Silvester. Damit habe ich zwei Effekte: Ich gebe dem Gast das Gefühl der Wertschätzung und ich spreche den Algorithmus der jeweiligen Plattform an. Google etwa sieht, dass ich mich um den Eintrag kümmere und belohnt mich mit Sichtbarkeit.

 

Klingt so, als sei der Gast anspruchsvoller geworden?

Ja, das kann man auf jeden Fall sagen, sowohl was den Vorortbesuch betrifft, als auch das Davor oder das Danach. Eine große Herausforderung werden Preissensibilität und Verschiebung der Gästefrequenzen sein. Im Restaurant hat der Gast schon immer ein ordentliches Preisleistungsverhältnis erwartet, doch momentan wird er noch sensibler. Ein hoher Preis wird zwar weiterhin bezahlt werden, aber nur, wenn die Leistung stimmt. Wir sehen ja, dass gehobene Gastronomie ohne Ende boomt. Jedoch sehen wir genauso, dass Low-Budget-Konzepte sehr gut funktionieren, gerade wenn es um Grundverpflegung geht.

 

Geht die Schere, wie bei der Digitalisierung, also auch in Bezug auf Konzepte und Preise immer weiter auseinander?

Dass diese Schere vorhanden ist, beobachten wir in verschiedenen Bereichen, nicht nur in der Gastronomie, und ich erwarte, dass sie weiter deutlich zu sehen sein wird. Grundversorgung soll möglichst günstig sein, daneben möchte ich mir trotzdem etwas gönnen. Schwierig ist ein Bereich, der genau dazwischenliegt. Damit der Gast wiederkommt, muss die Leistung wirklich stimmen.

 

Wie kann ich als Gastronom herausfinden, ob mein neues Konzept funktionieren wird?

Auch da kann das Digitale enorm helfen. Angenommen, ich kenne ein paar Player, die schon etwas Ähnliches tun. Dann würde ich diese mal komplett unter die Lupe nehmen und jede einzelne Gastrezension lesen, schauen, wie die Gäste auf das Konzept reagieren. Dann muss ich mir die Arbeit machen, hinzufahren, mir das anzugucken. Ich kann Gäste ansprechen und fragen: Wie gefällt euch das? Wenn ich an einem Standort neu bin, kann ich mich auch erstmal in die Nachbarkneipe setzen, um das Publikum und die Frequenzen zu beobachten. Das heißt, dass ich das Ganze reifen lasse und zulasse, dass es ein Prozess ist.

 

… und nachjustiere, wenn etwas nicht stimmig ist?

Auf jeden Fall! Ich darf in das eigene Konzept nicht so verliebt sein, dass ich es unbedingt durchziehe. Ich bin auch ein ganz großer Fan von Netzwerken. Es zahlt sich enorm aus, sich mit anderen auszutauschen und andere Meinungen anzuhören.

 

Apropos Netzwerk: Sie engagieren sich im Leaders Club Deutschland, waren seit 2016 sogar Präsident. Im Januar übergaben Sie die Präsidentschaft an Marc Uebelherr („OhJulia“, „Schreiberei“). Wie blicken Sie auf die letzten sechs Jahre zurück?

Ich durfte in dieser Zeit wahnsinnig viel lernen und viele Menschen kennenlernen. Das hat mich in meinem Leben sehr geprägt. Ich kann nur eine große Liebeserklärung an diese Gemeinschaft abgeben. Im Leaders Club tauschen sich Gastronomen, Industriepartner und Berater aus, aber ganz vorne stehen dabei die Freundschaften untereinander, die Authentizität und das ehrliche Miteinander. Das habe ich so in noch keinem anderen Netzwerk erlebt. Mein größtes Learning: Es geht viel besser miteinander, denn als Einzelkämpfer! Deshalb werde ich dem Club auch weiterhin verbunden sein und im Board of Honour im Hintergrund mitarbeiten.

 

Der Leaders Club hat schon diverse Aktionen umgesetzt, zum Beispiel die „Leeren Stühle“ während der Pandemie. Jetzt haben Sie die Kampagne #gastrofamily gestartet. Was verbirgt sich dahinter?

Wir haben die geilste Branche der Welt, aber wenn wir ehrlich sind, haben wir uns in der Vergangenheit nicht unbedingt mit Ruhm bekleckert, was den Ruf des Berufs angeht. Da wollen wir mit der Kampagne ansetzen. Nirgends lerne ich mehr Leute kennen, nirgends habe ich mehr Karrierechancen, wenn ich das wirklich beherrsche. Die #gastrofamily soll zeigen, wie schön diese Branche ist und wie viel Spaß es macht, darin zu arbeiten.

 

Wer ist die Zielgruppe der Kampagne und wie erreichen Sie diese?

Die Zielgruppe sind Menschen, die in der Gastronomie arbeiten oder gearbeitet haben. Wir wollen sie stolz machen, und die zurückholen, die der Branche in der Pandemie den Rücken gekehrt haben. Daneben ist jeder potenzielle Mitarbeiter die Zielgruppe: Egal, ob für eine Ausbildung oder als Nebenjob am Wochenende, egal ob Sternegastronomie oder Wirtshaus. Mit der finanziellen Unterstützung der Industriepartner Coca-Cola und Metro haben wir Werbefilme, Plakat- und Flyermotive produziert. Die Clips sind in Kinos und in Bundesligastadien ausgestrahlt worden, die Motive haben wir auf großen Plakatflächen und im Netz an die Zielgruppe gebracht. Wir wollen mit der Kampagne vor allem den Einzelgastronomen unterstützen und stellen dazu alle Materialien kostenlos zur Verfügung. Auf der Homepage kann man die Werbemittel mit dem eigenen Logo individualisieren.

 

Was fasziniert Sie an der Gastronomie-Branche?

Was gibt es Schöneres als eine Branche, in der es um Essen, Trinken und Menschen geht? Ich lerne grundsätzlich unglaublich gerne neue Leute kennen. In unserer Branche gibt es so viel zu entdecken, so viele inspirierende Menschen, die den Mut haben, etwas zu gründen. Das macht wahnsinnig viel Spaß!

 

Ihre gastronomischen Objekte führen Sie trotzdem nicht mehr operativ, Sie widmen sich vor allem Ihrer Fullservice-Agentur TNC Group.

In unseren Gastronomien bin ich mittlerweile in der Rolle des Gesellschafters. Dadurch bekomme ich weiterhin ein Gefühl dafür, was tatsächlich los ist und verliere nicht den Kontakt zur Basis. Mit TNC Production beraten und begleiten wir Unternehmen und Institutionen branchenübergreifend: Von Shopping über Logistik hin zu Immobilien. Doch mein Lieblingsthema ist alles, was mit dem Gast zu tun, die Hospitality-Branche. Ein ganz großer Punkt sind Workshops und Vorträge zum Thema Digitalisierung. Hier Impulse zu setzen, Strukturen aufzubauen und zu begleiten, erfüllt mich.

 

Herzlichen Dank für das Gespräch, lieber Michael Kuriat!

Das Interview führte Emmelie Öden

"Wir haben die geilste Branche der Welt!"
Michael Kuriat ist ein Multi-Gastronom, Netzwerker und Digitalisierungsexperte, der sich in der Gastronomiebranche bestens auskennt. Er ist als Speaker und Berater in verschiedenen Branchen tätig, aber seine Leidenschaft gilt der Hospitality-Branche. Das gesamte Interview steht Ihnen hier zum Download zur Verfügung.