Gastivo Magazin: Liebe Nikki, GREENKARMA haben Sie als Gegenentwurf zur Dönerisierung und Burgerisierung gegründet. Was ist für Sie gutes Essen?
Nikki Lukas: Ich kann mich für alles begeistern, wenn Frische und Geschmack zusammenkommen und ich kein Wörterbruch brauche, um die Inhaltsstoffe zu verstehen. Das kennzeichnet GREENKARMA.
Auf Ihrem Namensschild steht Everybody’s Mum, wie meinen Sie das?
Jeder Betrieb sagt, „Wir sind eine Familie“, aber ich glaube, wir kommen dem tatsächlich recht nah. Es ist ein Privileg, mit jungen Menschen zu arbeiten. Wir haben ein 30köpfiges Team mit einem Altersdurchschnitt in den 20ern. Ich interessiere mich sehr für Menschen, was sie bewegt, und wie diese junge Generation die Welt sieht. Wir reden natürlich über die Arbeit, aber auch über Filme oder Gender-Themen. Wir sind wirklich in Kontakt miteinander. Mich interessieren die verschiedenen Sichtweisen. Und es gibt immer Lebensabschnitte oder Situationen, wo ich als Ältere mit einem Beitrag, hervorgekramt aus meiner Erfahrungskiste, helfen kann. Auch mit meiner Erfahrung als Psychotherapeutin.
Sie haben am 30. Juli letzten Jahres, zwischen zwei Lockdowns, im Düsseldorfer Medienhafen Ihr zweites GREENKARMA Lokal eröffnet. Wie lange hielt die Feierstimmung an?
Sehr lange, weil wir einen sehr, sehr schönen Abend zusammen verbracht haben. Wir hatten die Sommerlaune im Herzen und alle waren hungrig auf Begegnung und diese Neueröffnung. Wir haben viele Menschen wiedergesehen, Stammgäste, Freunde, Partner, die uns auf unserer Reise begleiten und uns die Daumen gedrückt hatten. Es war einer der raren Abende im letzten Jahr, an dem wir wirklich einfach mal vergessen haben, was um uns herum los ist, auch wenn wir nicht jeden so herzen konnten wie sonst.
Wie haben Sie sich im Pandemie-Jahr 2020 gegen die Krise gestemmt?
Wir waren gut vorbereitet und konnen flexibel reagieren, weil wir schon vorher digital aufgestellt waren, mit Onlineshop und Pick-up-Service. Ich fand es bemerkenswert, wie die Krise die Digitalisierung akzeleriert hat und wie adaptiv der Mensch am Ende des Tages ist. Aber wenn man eine Restaurantkette aufbaut, dann will man natürlich von Menschen umgeben sein. Mit Pick-up und Delivery kann man viel reißen, aber deswegen macht man keine Gastro, da könnte man auch einen Online-Versandhandel gründen. Wir wollen ja zum Tisch gehen und wissen, ob’s geschmeckt hat. Wir wollen zusammen lachen und Wünsche erfüllen. Zum Beispiel haben wir kurz vor Weihnachten die Vegan Heroes, zwei vegane Kreationen, auf die Karte gesetzt. Die Idee kam von Gästen, die sich zuvor ihre veganen Bowls bei uns zusammengestellt haben. So ein Austausch fehlt im Lockdown. Im Moment haben wir eher einen Versorgungsauftrag und die Stimmung im Team hochzuhalten. Mit Gastfreundschaft hat das nicht viel zu tun.
Was haben Sie in den letzten zwei Jahren seit der Gründung geändert?
(lacht) Fragen Sie lieber, was wir nicht geändert haben! Wenn Leute drei Tage nicht da sind, sind sie überrascht, was sich schon wieder verändert hat. Es ist Fluch und Segen zugleich, als Quereinsteiger in der Branche zu starten. Es ist wie von der Klippe zu springen und unterwegs das Flugzeug zusammenzubauen. Es braucht positiven Wahnsinn. Wir sind mit so einer Learner-Mentalität rangegangen. Uns war klar: Wir treten gut vorbereitet an, aber unsere eigentliche Stärke ist, dass wir so wissbegierig sind, den Gast in den Mittelpunkt stellen und immer gemeinsam schauen: Was kann man besser machen? Wo gibt’s Holpersteine bei der Onlinebestellung? Welcher Button fehlt? Welches Bezahlsystem braucht ihr noch? Wir sind als Idee gestartet und sind in den zwei Jahren tatsächlich zum Konzept geworden.
Ein Konzept, das repliziert werden soll ...
The Sky is no Limit! Ja, wir wollen ein replizierbares System schaffen. Das ist bei unserem Konzept, das aus vielen frischen Komponenten besteht, eine Herausforderung und ein Abenteuer. Dass es immer gleich schmeckt, immer die gleiche Qualität! Sie können mich bei Mc Donalds drei Stunden in die Ecke stellen, und ich finde es einfach faszinierend, wie dieses Orchester funktioniert, wie man sich bis ins Detail Gedanken dazu gemacht hat, dass der Gast immer die gleiche Experience hat. Das ist natürlich einfacher zu realisieren, wenn die Pattys extern abgewogen sind und immer die gleiche Menge Ketchup aus der Flasche kommt. Bei uns wird die Süßkartoffel von Hand geschnitten. Ist sie zu dünn, verbrennt sie am Rand und wird bitter. Um eine immer gleiche Qualität hinzukriegen, arbeiten wir zum Beispiel mit Schulungsvideos, ganz systematisch.
Wie skaliert man Glück, Zusammenhalt und Seele eines Ladens wie GREENKARMA?
Das ist wirklich eine Herausforderung. Das geht nur mit einem glücklichen Team. Was mich als Therapeutin und Coach bei manchen Unternehmern schockiert hat: Sie verstehen den Zusammenhang zwischen einem glücklichen Team und Kundenzufriedenheit/RoI/Income nicht. Sie wundern sich, wenn ich mit ihnen nicht über ihre Kunden, sondern über ihr Team sprechen will. Hej, ich kann doch hier keine Atmosphäre haben, in der man zum Lachen in den Keller geht, und dann erwarten, dass meine Leute freundlich zu den Gästen sind. Meine Aufgabe: zuhören und vorleben, dass wir wertschätzend miteinander umgehen. Das ist dann selbstverständlich und ich kann erwarten, dass das an den Gast weitergetragen wird. Der kommt für zehn Minuten zu uns rein. Wenn wir diesen kurzen Kontakt negativ einfärben, bekommen wir vielleicht keine zweite Chance.
Wie kamen Sie zu den Core Values, die Sie für Ihr Unternehmen formuliert haben?
Es sind meine Werte, die Regeln meines Herzens. Wenn ich eine andere Firma gründen würde, wären das auch meine Werte. Hätte ich eine Consulting-Firma, würde ich auch sagen: Ihr müsst euer Herz öffnen, und wir gehen jetzt alle auf die Matte! Ich bin übrigens auch ausgebildete Yogalehrerin...
Eine echte Quereinsteigerin! Wie haben Sie sich Ihr Gastronomie-Wissen angeeignet?
Ich habe zu Hause Dressing-Verkostungen veranstaltet, Salate und Kombinationen ausprobiert, und ich wusste: Wenn es mir nicht gelingt, ein Knallerprodukt auf die Beine zu stellen, brauche ich meine Energie und mein Know-how nicht in diese Branche zu investieren. Wenn’s dem Gast nicht schmeckt und er nicht satt wird, kommt er nie wieder. Ich reise gern, unsere Karte ist heute eine kulinarische Weltreise. Der Fuego ist Mexiko, der Holi ist indisch mit Curry-Blumenkohl und Mango. Amare ist italienisch und heißt gut essen und lieben, herrlich doppeldeutig, deshalb heißt der Salat so, mit Pesto-Vinaigrette. Und natürlich der Caesar Salad, der Einstiegssalat für Männer. Viele trauen sich anfangs noch nicht an die exotischeren Varianten und fangen damit an. Wir wissen dann: Der ist zum ersten Mal da. Und meistens futtern sie sich dann ab dem nächsten Mal durch die Karte.
Gastronomie ist ja nicht nur Essen, da geht es auch um Prozesse, um Hygiene, um Einkauf ...
Ich habe mir viel angelesen, und dann kam Lacky Singh dazu, Koch und mein Geschäftspartner. Ich sage immer: mein Bruder von der anderen Mutter. Er hat viel Know-how reingebracht. Und dann kamen noch weitere dazu, bis wir so gut waren, mit der Stoppuhr die Prozesse zu optimieren. Wir machen Front Cooking, das heißt, der Gast läuft mit bis zum Bezahlvorgang. Alle Vorgänge wurden systematisiert, so haben wir uns immer verbessert. Am Anfang hatten wir auch ein sehr rudimentäres Kassensystem, günstig, weil unser Budget klein war. Aber nach ein paar Monaten haben wir gemerkt: Wir können keine hourly Reports einsehen, keine Daten auswerten, was sind Renner oder Penner? Nach einem halben Jahr haben wir ein neues Kassensystem installiert.
Woher beziehen Sie Ihre Inspiration?
Alles ist Inspiration! Ich beobachte gern, die Natur, Menschen, ich tausche mich mit meinem Team aus, auch mit meinen Kindern, die sind jetzt zehn und dreizehn, wie sie die Welt sehen. Und ich muss sagen: Zuzuhören ist das beste Rezept. Den Geist offen zu halten, andere Ansichten, Gewohnheiten und Kulturen respektvoll wahrzunehmen, das finde ich bereichernd. Deshalb ist diese Pandemie für mich der schlimmste Einschnitt. Meine größte Angst ist, in eine Mindset-Blase zu geraten. Es ist ja sehr, sehr schön, wenn man in der Interaktion mit anderen Kulturen über den eigenen Kosmos hinausblicken kann. Wenn mich in Asien jemand auf den falschen Weg schickt, denke ich als Deutsche: Unverschämtheit. Aber wenn ich das asiatische Konzept des Gesichtwahrens kenne, dann verstehe ich: Der wollte mir nichts Böses, der wollte sich nur keine Blöße geben. Ich leide im Moment sehr darunter, dass man sich nicht auf der Welt bewegen kann.